Dienst zwischen Fahrgeschäft und Schießbude

Platzwunden, Schnittverletzungen, Kreislaufkollapse, aber auch schmerzende Füße wegen neuer Schuhe – Was die Mitarbeiter der BRK-Sanitätsstation beim Kronacher Freischießen über die elf Tage leisten, davon machten wir uns in der XXL-Nacht 2015 von Freitag am Samstag ein Bild.

Ein Jugendlicher sitzt auf der Liege. Blut läuft ihn über sein Gesicht und auch das Bein hinunter. „Ich möchte auf keinem Fall im Krankenhaus übernachten“, sagt er aufgeregt.  „Das muss genäht werden. Eine Platzwunde über der Augenbraue blutet halt gleich stark“, meint die Einsatzführungsdienstleiterin Miriam Schirmer. Der Jugendliche wird gerade erstversorgt, als sich die Tür der Sanitätsstation öffnet und der nächste Patient hereinkommt. Der linke Daumen des Mannes blutet stark, aufgeschnitten an Scherben. Er setzt sich auf die zweite Liege und bekommt einen Daumen-Verband. Dann erhält Schirmer die Nachricht, dass vor einem WC eine bewusstlose Frau liegt. Sie schickt einen Trupp – bestehend aus zwei Sanitätern – los. Es ist 23.30 Uhr am Freitagabend. Es regnet in Strömen. Noch vor wenige Minuten saß Miriam Schirmer mit ihren Kollegen „ruhig“ auf den Bierbänken vor der Sanitätsstation. Dann auf einmal ging es Schlag auf Schlag. „Das ist ganz normal, dass dann immer alles auf einmal kommt“, meint sie gelassen. Man müsse eben immer in Alarmbereitschaft sein. Dem Jugendlichen wurde der stark einsetzende Regen zum Verhängnis. „Wir wollten uns unterstellen und sind gerannt. Ich blieb an einem Fußabstreifer hängen und knallte genau gegen ein Geländer“, erzählt er. Der georderte Einsatzwagen bringt ihn in die Frankenwaldklinik. Der Mann mit der Schnittwunde kann derweilen wieder die Station verlassen. Beide Behandlungen werden in einem Verbandsbuch – einem Tagebuch für Hilfsposten – dokumentiert. Zudem wird es in einem Notfallprotokoll festgehalten. „Wir müssen das nachverfolgen können, falls später etwas sein sollte“, erklärt Schirmer. Mittlerweile erreicht sie die Nachricht der beiden, von ihr losgeschickten Sanitäter, dass tatsächlich eine Person bewusstlos vor dem WC liegt. Es handelt sich um eine Frau mittleren Alters. Vor einigen Jahren sei man in solchen Fällen noch mit dem Einsatzwagen in die Hofwiese reingefahren. Dies sei aber angesichts der Menschenmassen zu gefährlich gewesen. „Jetzt schicken wir zwei Sanitäter hin und die Fahrzeuge werden an einem der drei Notausgänge – Richtung Seelach, zwischen Höring und Autoskooter und beim anderen Zugang zum Platz – positioniert“, informiert sie. Zum Transport ins Krankenhaus, wohin es auch für die bewusstlose Frau geht, wird die Integrierte Leitstelle verständigt. Diese ordert den Einsatzwagen. „270 ehrenamtliche Sanitäter sind an diesen zehn Tagen im Einsatz“, erzählt BRK-Ehrenamtsmanager Ralf Schmidt. Der BRK-Kreisverband Kronach habe das Konzept vor zwei Jahren hochgefahren – sowohl personell als auch in der Anzahl der Fahrzeuge. Man wollte damit erreichen, dass zu Stoßzeiten die Patienten besser und schneller versorgt würden.

Blasenpflaster sind der „Renner“

Die Art der Behandlungen sei querbeet. Typische Schützenfest-Verletzungen seien Schnittverletzungen aber auch – verbunden mit zunehmendem Alkoholkonsum – Schlägereien. Es gab auch sehr viele Wespenstiche und Kreislaufprobleme. Der Renner aber sind Blasenpflaster, wie auch Schirmer bestätigt. „Die Frauen wollen ihre neuen Schuhe passend zum Dirndl vorführen, aber sie laufen sie vorher nicht ein. Das tut schon weh“, schmunzelt sie. Auch solche Fälle werden dokumentiert. Schließlich müssen die Vorräte jeden Tag aufgefüllt werden. Natürlich gebe es auch richtig schlimme Sachen: Herzinfarkte, Schlaganfälle. „Wir sind die erste Anlaufstelle. Da bekommt man in den Jahren viel mit“, so Schirmer, die den Einsatzführungsdienst inne hat. Beim BRK ist sie seit 2004. Sie absolvierte ihre Ausbildung zur Rettungsassistentin, arbeitete auch in der Leitstelle und bildete sich zur ILS-Disponentin weiter. Ihre Aufgabe als Einsatzführungsdienstleiterin besteht insbesondere in der Koordination sowie den Kontakt mit dem ELW (Einsatzleitwagen). Diese mobile Leitstelle vor Ort verfügt über drei identische Arbeitsplätze und ist mit der neusten IT- und Digitalfunktechnik ausgestattet. Damit wird bei Einsätzen eine optimale Kommunikation an der Einsatzstelle sowie die Koordination der Helfer und der Einsatzmittel ermöglicht. Die Sanitätsstation vor Ort auf dem Schützenfestplatz hat zwei Behandlungsplätze. Sie erinnert an ein kleines Krankenhauszimmer. Für die Notfallversorgung ist sie mit einer kleinen notfallmedizinischen Ausstattung ausgerüstet, auch einem Defibrillator. Für kompliziertere Behandlungen werden die Patienten in das Krankenhaus eingeliefert. Bei allen sich beim Schützenfest im Einsatz befindlichen 270 Helfern handelt es sich – auch bei Schirmer – um Ehrenamtliche. Bei den XXL-Nächten sei man – wie auch an diesem Freitag – zu zehnt vor Ort. Hinzu kommen noch die Mitarbeiter bei der mobilen Rettungsstation in der Alten Ludwigsstädter Straße beziehungsweise – aufgrund des erhöhten Patientenaufkommens – zwei zusätzlich mit ehrenamtlichen Kräften besetzte Rettungswägen. Somit seien rund 20 Personen im Einsatz. Es gibt verschiedene Schichten – von 14 Uhr bis 19 Uhr und von 19 Uhr bis – bei den XXL-Nächten – 3 Uhr, nach Bedarf länger. Dennoch ist der Dienst beim Schützenfest „beliebt“ und die Einsatzpläne schnell gefüllt. Warum? „Es ist ein interessanter Dienst. Man lernt viel – gerade auch solche, die noch nicht so lange dabei sind“, erklärt sie. Das bestätigt auch Sanitäter Michael Sesselmann. 

Der Dienst beim Schützenfest sei – laut Schmidt – mit einem riesigen Aufwand, auch schon im Vorfeld, verbunden, den ein Außenstehender nicht nachvollziehen könne. Besonders gefragt sei man beispielsweise gerade auch beim Feuerwerk und beim Schützenfestumzug. „Es kann ja sein, dass gerade um diese Zeit Menschen unabhängig vom Schützenfest unsere Hilfe brauchen. Da kann man ja nicht sagen, es ist gerade Feuerwerk und wir kommen nicht durch“, betont Schmidt. Von daher müsse man vorher genau durchdenken, wo man die Einsatzwägen platziere. Der logistische Aufwand sei enorm.

Nun aber zurück zum Schützenfestplatz, Freitagnacht. Das neue Konzept – also die Aufstockung – habe sich, so Schirmer, bewährt und sei dringend notwendig gewesen. „Vom Gefühl her, ist es mehr geworden. Heuer hatten wir in den beiden Tagen bisher auf jeden Fall mehr zu tun als im Vorjahr“, zeigt sie sich sicher. Nicht immer wüssten die Patienten die Hilfe, die für sie kostenlos ist, zu schätzen. Es gebe auch solche, die aggressiv seien und die Helfer bedrohten. In diesem Fall werde die gleich nebenan untergebrachte Polizei informiert. Helfen müsse man natürlich jedem. Insgesamt aber, meint Schmidt, sei es mit dem Alkoholkonsum besser geworden. Die verstärkten Kontrollen der Polizei fruchteten. Die Behandlungszahlen seien relativ konstant. Aber es seien schlimmere Fälle, die verstärkt im Gedächtnis blieben. So sei man schon erleichtert, wenn die elf Tage vorbei seien und hoffentlich nichts Schlimmeres passiert sei. hs