Für Opfer von Verbrechen ist eine Außenstelle des „Weißen Ring“ häufig die erste Anlaufstelle. Heuer feiert die Hilfs-Organisation 40jähriges Jubiläum. Im Landkreis Kronach leitet Inge Schaller die Außenstelle in Ludwigsstadt.
Landkreis Kronach- Vom eigenen Vater jahrelang als Kind sexuell missbraucht; vom gewalttätigen Ehemann 15 Jahre lang malträtiert; niedergeschlagen und schwer verletzt beim Versuch, einer Frau auf dem Schützenfest zu helfen – „Gottseidank, ich muss nicht mehr schweigen! Diesen Satz habe ich schon oft gehört“, sagt die ehrenamtliche Leiterin der Weißen Ring-Außenstelle in Ludwigsstadt, Inge Schaller, als sie von eben diesen drei Schicksalen erzählt. Zusammen mit ihrem Ehemann Walter Schaller sowie dem Mitarbeiter Bernhard Martin berät, betreut und unterstützt sie in Not geratene Opfer von Kriminalität.
Überwiegend sind es Frauen, die aufgrund häuslicher Gewalt, aber auch Sexualstraftaten oder Kindesmissbrauch in der Außenstelle Hilfe suchen. Bei den betreuten Männern handelt es sich oft um Opfer von Körperverletzungen. „Viele haben Angst und trauen sich nicht, mit der Polizei zu sprechen, oder sie schämen sich einfach“, weiß Inge Schaller und erzählt von einer Ehefrau, die über 15 Jahre hinweg von ihrem gewalttätigen Mann geschlagen wurde. Nachdem zum wiederholten Male die Polizei zu Einsätzen vor Ort war, aber nichts ausrichten konnte, weil die Frau nicht gegen ihren Mann aussagte, vermittelte eine Polizistin den Kontakt zur Außenstelle. „Heute geht es der Frau gut, ohne ihren Mann“, freut sich Inge Schaller.
Mit dem Hilfesuchenden wird zunächst ein Treffen – je nach Wunsch – meist an neutralen Orten wie beispielsweise im Landratsamt, in Rathäusern oder in einem Cafe vereinbart. Im ersten Gespräch erfahren die Mitarbeiter, welcher Hilfsbedarf vorhanden ist. Die Hilfeleistungen reichen dabei von menschlichem Beistand und persönlicher Betreuung über die Begleitung zu Terminen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht bis hin zu finanzieller Unterstützung wie beispielsweise Überbrückungshilfen. Darüber hinaus vermittelt man auch Hilfe von anderen Organisationen. „90 Prozent unserer Arbeit ist psychologischer Art. Die Menschen haben ein großes Redebedürfnis. Wir vermitteln ihnen beim Zuhören das Gefühl, dass wir ihnen glauben und dass sie mit ihrem Problem nicht alleine sind“, weiß Inge Schaller. Die Betreuung gehe oftmals über viele Jahre. Häufig litten Opfer noch jahrelang nicht nur körperlich, sondern auch seelisch unter den Folgen einer Straftat.
Inge Schaller ist seit 2008 in der Opferberatung tätigt. Wie alle Mitarbeiter des Weißen Rings arbeitet sie ehrenamtlich. Ein besonderes Schlüsselerlebnis als Auslöser für ihre Tätigkeit gab es bei der ausgebildeten Opferhelferin nicht. Es ist ihr einfach ein großes Anliegen, Menschen dabei zu helfen, ihren Alltag wieder sicher und ohne Ängste bewältigen zu können. Dabei wird sie mit vielen schlimmen Schicksalen konfrontiert. Dass bei uns auf dem Land die Welt noch in Ordnung sei, sei ein Trugschluss. Sie stelle auch immer mehr fest, dass die Menschen nicht mehr so sehr wie früher auf den anderen achteten. Tatkräftige Unterstützung, auch um ihre Arbeit selbst zu verkraften, erhält sie vor allem von ihrem Ehemann, mit dem sie sich austauscht – ganz wichtig bei dieser Arbeit! Die Zusammenarbeit mit dem Weißen Ring laufe reibungslos. „Ich kann mich auf den Verein zu 1000 Prozent verlassen“, würdigt sie die Zusammenarbeit mit der größten Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität, die am 24. September 1976 in Mainz von 17 Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen wurde – darunter der Journalist und Moderator von „Aktenzechen XY… ungelöst!“, Eduard Zimmermann.
Seitdem hat es sich der Weiße Ring zur Aufgabe gemacht, die rechtliche und soziale Situation von Kriminalitätsopfern zu verbessern. Dabei wurde viel erreicht: So hat sich nicht nur die finanzielle Unterstützung für Kriminalitätsopfer seitens des Staates verbessert. Opfer haben auch im Strafprozess mehr Rechte als früher und Anspruch auf umfassenden sensible Betreuung nach der Tat. „Getan ist unsere Arbeit aber noch lange nicht“, sagt Inge Schaller. Zum Einen sei die Zahl der polizeilich erfassten Straftaten seit 1976 um fast 99 Prozent gestiegen. Zum Anderen drehe sich in der öffentlichen und medialen Wahrnehmung zu häufig noch immer alles um den Täter. Das Opfer bleibe in seiner Not, mit seinen Belangen und Bedürfnissen außen vor. „Hier gegenzusteuern, ist eine Kernaufgabe unseres Vereins“, betont sie. Auch vor Ort, im Kreis Kronach, konnten die drei Mitarbeiter des Weißen Rings viel bewegen und heuer bereits bislang über 20 Menschen in Not zur Seite stehen.
Der Verein arbeitet seit seiner Gründung vollkommen unabhängig von staatlichen Finanzmitteln. Da er seine Tätigkeit ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, testamentarischen Zuwendungen sowie von Gerichten und Staatsanwaltschaften verhängten Geldbußen finanziert, bildet bis heute das bürgerschaftliche Engagement die tragende Säule des Weißen Rings. „Unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter sind das Rückgrat des Weißen Rings. Ohne sie wäre Opferhilfe in Deutschland nicht leistbar“, weiß auch Inge Schaller und betont: „Für uns ist entscheidend, ob wir den Menschen helfen konnten, einen Weg zurück in ein normales Leben zu finden und langfristig mit den Tatfolgen leben zu können.“ hs
Der Weiße Ring: Die in Deutschland einzige bundesweit tätigte Organisation der Opferhilfe ist in allen oberfränkischen Landkreisen mit Außenstellen vertreten. Sie hilft allen Opfern von Straftaten – unabhängig von einer Strafanzeige oder Verurteilung eines Täters, aber auch Angehörigen, Nothelfern und Tatzeugen. Die Hilfe ist kostenlos und wird jedem – auch Nichtmitgliedern – gewährt. Seit Bestehen des Vereins wurden insgesamt mehr als 353.000 materielle Hilfeleistungen erbracht. Für Opferbetreuungsmaßnahmen wie Umzugshilfen, Hilfeschecks für anwaltliche oder psychotraumatologische Erstberatungen oder rechtsmedizinische Untersuchungen wurden mehr als 204 Millionen Euro bereitgestellt (Stand: Juni 2016). In der Gesamtzahl nicht erfassbar sind die zigtausend Stunden der ehrenamtlichen Hilfe, die insgesamt rund 3.200 ehrenamtliche, professionell ausgebildete Mitarbeiter in den bundesweit 420 Außenstellen erbringen. Bundesweites Opfer-Telefon: 116 006, täglich von 7 Uhr bis 22 Uhr. Im Sommer hat der Weiße Ring darüber hinaus eine Onlineberatung eingerichtet, um einen zusätzlichen und anonymen Zugang zu seinen Hilfsmöglichkeiten zu schaffen. Spendenkonto für die Hilfe für Kriminalitätsopfer: Weißer Ring: 34 34 34 Deutsche Bank Mainz (BLZ 550 700 40), BIC: DEUTDE5MXXX IBAN: DE26 5507 0040 0034 3434 00 hs
Ehrenamtliche Mitarbeiter gesucht:
Interessierte wenden sich bitte an die Außenstelle in Ludwigsstadt unter der Telefon-Nummer: 09263/975910. hs