
Basisdemokratie á la Rot-Rot-Grün. Was Sonneberger Bürger zur Klage der Thüringer Landesregierung gegen ein Volksbegehren zur Gebietsreform sagen, lesen sie hier in ersten Auszügen.
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Robert Blaschke (Inhaber des Orthopädiehauses Blaschke in Sonneberg). Jawollll! Wir sind für mehr direkte Demokratie, aber nur wenn uns das Ergebnis gefällt und das Volk voraussichtlich auf den Parteilinien von Rot-Rot-Grün liegt. Da Rot-Rot-Grün offenbar das Gegenteil befürchtet, greift man nun zu einem Mittel, was man zu Zeiten, in denen man sich in der Opposition befand, aufs Schärfste kritisierte: Die Klage gegen ein Volksbegehren.

Mit dieser Entscheidung, hat Rot-Rot-Grün nunmehr sein wahres Gesicht gezeigt. Ganz offensichtlich hat man mit Basisdemokratie und Bürgernähe weniger im Sinn, als man behauptete. Dies wiegt umso schwerer, als dass gerade Rot-Rot-Grün genau diese basisdemokratische Ausrichtung praktisch exklusiv für sich reklamierte, den Wählern in der Vergangenheit versprach, hierfür einzutreten und Vorgängerregierungen mit vollmundigen Schmähungen überzog, wenn diese gegen Volksbegehren klagten.
Der Haushalt Thüringens wird durch die Gebietsreform mit gerade einmal 1,6 Prozent tangiert. Eine Klage gegen das Volksbegehren läge damit klar im Ermessensspielraum der Rot-Rot-Grünen Regierung und ist keinesfalls zwingend erforderlich, wie die Herren Ramelow, Poppenhäger und Lauinger unisono aber unzutreffend behaupten. Würde man alle Volksbegehren verbieten müssen, die irgendwelche Auswirkungen auf den Landeshaushalt haben, wären nahezu alle Volksbegehren, die den Freistaat Thüringen tangieren, nicht mehr zulässig, da es kaum Volksbegehren ohne finanzielle Auswirkungen geben dürfte. Die gleiche Landesregierung, die hier offenbar eine Art Kostenbewusstsein heuchelt, gibt im selben Atemzug 580.000 € für eine Werbekampagne aus, die den Bürgern mit versimpelten Plattitüden eine Gebietsreform verkaufen soll, für deren behaupteten Erfolg es keinerlei Belege oder Beweise gibt. Das immer wieder gebetsmühlenartig wiederholte Einsparungsargument hat sich bislang in anderen Bundesländern nicht klar bestätigen lassen. Teils waren Kreisgebietsreformen sogar mit steigenden Kosten verbunden. Während die vermeintlichen Vorteile einer Kreisgebietsreform bestenfalls vage Hoffnungen ohne jedwede Garantie bleiben, stehen die Nachteile bereits heute fest: Kaufkraftverlust und wirtschaftliche Nachteile von Städten, die den Kreissitz verlieren, Erhöhung von Disproportionen durch künstliche Ungleichverteilung von Behörden- und Dienstleistungsarbeitsplätzen, Verschwinden von Institutionen wie z.B. Landratsamt, Kreissparkasse, Finanzamt oder Amtsgericht, damit verbundene leerstehende Problemimmobilien, Negative Beeinträchtigung ehrenamtlicher Tätigkeit, längere Wege für die Einwohner eines Großkreises zu Behörden und Ämtern, die insbesondere für ältere Menschen, sozial Schwache und Behinderte problematisch sind.
Warum ist es also nicht sinnvoll, in Anbetracht der bereits feststehenden Nachteile und der nicht erwiesenen Vorteile einer Gebietsreform die Bürger nach ihrer Meinung zu befragen, sondern mit poppenhägerscher Holzhammermethode eine umstrittene Reform durchzupeitschen? Eine basisdemokratisch plausible Antwort vermag Rot-Rot-Grün hierauf nicht zu geben. Man versteckt sich hinter leeren Worthülsen und vorgeschobenen Argumenten, in der Hoffnung, dass der Wähler vergesslich ist. Diese allzu durchschaubare Rechnung wird nicht aufgehen, denn eine Art von Volksabstimmungen kann selbst Rot-Rot-Grün nicht verbieten: Die Kommunal- und Landtagswahlen 2019!

Beate Meißner (Landtagsabgeordnete der CDU im Thüringer Landtag). „LINKE, SPD und Grüne hätten zeigen können, dass es ihnen mit ihrem jahrelangen Engagement für mehr direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung wirklich ernst ist. Damit hat die Landesregierung dem Vertrauen der Bürger mal wieder einen Bärendienst erwiesen! Mit dieser Klage überzeugt man die Menschen jedenfalls nicht von der Sinnhaftigkeit einer Gebietsreform.“

Jürgen Prüfer (Behindertenbeauftragter des Landkreises Sonneberg). Für mich ist eine Klage gegen das Volksbegehren ein Verstoß gegen die Demokratie. Wir dürfen das Diktat der Thüringer Landesregierung nicht annehmen. Wir müssen für ein Volksbegehren kämpfen. Für mich ist am wichtigsten, wie die Bürger ihre Dienstleistungen bekommen und wie die Mitbestimmung und Teilhabe umgesetzt wird, also wie Menschen in Behörden kommen sollen, wenn sie über keine Auto verfügen oder wenig Geld haben und längere Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur finanziellen Belastung oder zu Tagesreisen in die Kreisstadt werden. In den Zeiten der beginnenden Inklusion kommt eine Gebietsreform einer Ausgrenzung gleich, weil die längeren Wege eines größeren Territoriums finanzielle und zeitliche Hindernisse darstellen. Je ärmer und kranker der Mensch, umso weniger kann er diese Hürden überwinden, um Beratungen zu seinen Problemen in Anspruch zu nehmen, um Hilfe bei Selbsthilfegruppen zu finden, um Behörden zu besuchen, Hilfsleistungen zu beantragen und vieles andere mehr!

Enico Scholtz (Vors. des Innenstadtvereins „Sonneberg Aktiv e.V.“). Ich finde Demokratie muss aktiv gelebt werden. Die Klage der Landesregierung gegen das Volksbegehren zur Gebietsreform kann ich nicht verstehen. Unsere Politiker in Erfurt sind die Vertreter von uns. Wir haben sie gewählt, dass sie unsere Interessen vertreten. Jetzt stehen sie mit dieser Klage nicht mehr hinter uns sondern gegen uns. Selbst bei den Politikern in Erfurt wird die Sinnhaftigkeit der Gebietsreform auch schon in Frage gestellt. Diese wollen es nur nicht zugeben.
Wenn diese Gebietsreform mit aller Macht der Landesregierung durchgesetzt wird, bedeutet das auch für die Sonneberger Einzelhändler noch weitere Einschnitte in ihrer Arbeit. Dann können wir ein Leben in der Sonneberger Innenstadt als Einkaufsstadt ganz vergesssen. Die Auswirkungen wären katastrophal für alle.

Peter Eichhorn (Seniorenbeirat der Stadt Sonneberg). Der Seniorenbeirat der Stadt Sonneberg vertritt seit über 15 Jahren die Interessen der älteren Generation. Bisher wurden unsere Empfehlungen sehr ernst genommen und konnten meist auch in die Praxis umgesetzt werden. Neuerdings erreichen uns ständig Anfragen und Ängste der älteren Generation zu den Auswirkungen einer Gebietsreform. Warum soll das verändert werden, was gut war und funktioniert hat? Wie erreicht man öffentliche Einrichtungen, wenn sie territorial geschlossen bzw. verlegt wurden? Welche wirtschaftlichen Auswirkungen treffen unsere Stadt usw.? Von einer Gebietsreform sind aktuell keine Vorteile sichtbar, es bleibt nur das Prinzip Hoffnung. Der Seniorenbeirat der Stadt Sonneberg hat sich auch für 2017 anspruchsvolle Aufgaben gestellt und hofft, dass ihm hierbei neue Methoden der Auslegung von Demokratie nicht hinderlich sind.
Dr. Heiko Voigt (Bürgermeister der Stadt Sonneberg). Das Volksbegehren gegen die Gebietsreform verfassungsrechtlich prüfen lassen, ist ein herber Schlag gegen diejenigen, die mit ihrer Unterschrift gegen die Gebietsreform protestiert haben. Nachdem

Verwaltungs-, Funktional- und Finanzreform defnitiv entfallen, bleibt nur eine verkümmerte Gebietsreform übrig, die von ganz vielen Menschen nicht mitgetragen werden kann. Die Ängste vieler Menschen vor dem Schaden, der vielerorts angerichtet werden soll, müssen ernst genommen werden. Sie lassen sich auch nicht juristisch vom Tisch wischen.

Christine Zitzmann ((parteilos) Landrätin des Landkreises Sonneberg). Das Volksbegehren gegen die Gebietsreform wurde mit überwältigender Zustimmung eingeleitet. Über 47.000 Thüringer Bürgerinnen und Bürger haben per Unterschrift ihren Willen bekundet und sich gegen die Schaffung von bürgerfernen Großstrukturen innerhalb der kommunalen Familie ausgesprochen. Sollte sich die Thüringer Landesregierung tatsächlich dazu entscheiden, dieses so stark legitimierte Volksbegehren juristisch kippen zu wollen, wäre dies ein fatales Zeichen für unsere Demokratie und unsere politische Kultur. Es wäre ein sprichwörtlicher „Schlag ins Gesicht“ für viele Menschenund zwar nicht nur für die Befürworter des Volksbegehrens, sondern für alle Thüringerinnen und Thüringer, die sich für mehr direkte Demokratie in der Politik einsetzen. Die heute im Kabinett zu behandelnde Frage wird auch zum Prüfstein, wie ernst es Rot-Rot-Grün mit ihrem in der Vergangenheit immer wieder geforderten Ansinnen für mehr direkte Demokratie meinen. Es wäre meiner Meinung nach ein Offenbarungseid der Thüringer Landesregierung, wenn man Politik zum Nachteil vieler Menschen und Regionen in Form einer Klage gegen ein Volksbegehren durchsetzen wöllte. Ich appelliere daher an die Landesregierung, nicht der Empfehlung des Koalitionsausschusses zu folgen und anstatt dessen innerhalb der Gebietsreform die faire und offene Auseinandersetzung der Argumente zu suchen.