Darüber sprach amadeus mit Wolfgang Puff, Geschäftsführer der Wirtschafts- und Strukturentwicklungsgesellschaft Landkreis Kronach mbH. Die Fragen stellte Heike Schülein.
Herr Puff, welche Merkmale prägen den Wirtschaftsstandort Kronach? Wie würden Sie ihn charakterisieren? Kronach ist ein ausgeprägter Industrie- und Produktionsstandort mit langer Tradition. Die Hälfte der bei uns Beschäftigten (24.400 insgesamt) arbeiten im Produzierenden Gewerbe (Industrie und produzierendes Handwerk), 1.300 im Baugewerbe und 11.000 im Dienstleistungsbereich. Kronach hat eine sehr hohe Industriedichte – nämlich160 Industriebeschäftigte auf 1.000 Einwohner, 650 Handwerks-Betriebe mit fast 5.000 Beschäftigten und etwa 100 mittelständische Industriebetriebe mit 10.000 Beschäftigten. Die übrigen knapp 10.000 Beschäftigten sind in vielen Dienstleistungsbetrieben tätig. Den Wirtschaftsraum prägen klein- und mittelständische Betriebsstrukturen sowie gemeindebezogene bzw.- wohnortnahe Arbeitsstätten in direkter Naturnähe. Belastete industrielle Großstrukturen gibt es nicht.
Was sind seine wesentlichen Stärken und Potenziale? Stärken: Im Landkreis gibt es einen Branchenmix, keine Monostrukturen. Kronach verfügt über hohe Kompetenzen bzw. KnowHow in Produktionsverfahren und –prozessen bei der Verarbeitung von Materialien und Werkstoffen. Der Landkreis ist an bayerischen Branchenclustern beteiligt: dem Automotive-Cluster, 50 Betriebe aus Kunststoff, Elektrotechnik, Werkzeug-, Maschinen-, Formen- und Anlagenbau; Mechatronik und Automation, also Automatisierung als Produktionstechnik aber auch Herstellung „mechatronischer“ Produkte; neue Werkstoffe, z.B. veränderte Material- und Oberflächeneigenschaften bei uns erzeugter oder verarbeiteter Werkstoffe wie Glas/Keramik, Kunststoffe, Textilien und Metalle: Verbundwerkstoffe und Werkstoffverbunde; „Forst und Holz“, da waldreiche Region, energetischer Stoff und Baustoff. Potenziale: Die Produktion und Industrie werden transformiert in Richtung 1. „Industrie 4.0“ (2.Phase der dritten industriellen Revolution (Mechanisierung, Industrialisierung, Automatisierung, digitalisierte Produktion), 2. „Innovationsmanagement“ für neue Produkte, Verfahren und Prozesse – zum Beispiel das IZK Innovations-Zentrum Region Kronach. „Industrie 4.0“ und „Innovationsmanagement“ bringen qualitatives Wachstum und erhalten Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der Beschäftigten.
Und die Schwächen? Was könnte beziehungsweise was muss verbessert werden? Welche konkreten Maßnahmen wurden / werden dafür getroffen? An einigen „naturgegebenen“ Schwächen des ländlichen Raumes wird stark gearbeitet, v. a. im Bereich Infrastruktur: Verkehrsanbindung und Breitbanderschließung. Auch an den negativen Entwicklungen der demografischen Entwicklung wird gearbeitet: Bildungswanderer (Investitionen in Bildungslandschaft); Vereinbarkeit von Familie und Beruf (nahtloses Betreuungsnetzwerk „Lebensqualität für Generationen“); Demografiezentren (Kronach Creativ und Oberfranken Offensiv); die Seniorengemeinschaft Kronach; das Projekt für zukunftsorientiertes Wohnen im Alter „In der Heimat Wohnen“… Völlig neue und quasi unerwartete Impulse werden auch im Zuge der angekündigten Hochschulgründung entstehen. Es gibt viele gute, innovative Ansätze, deren Nutzen und Möglichkeiten gerade im Inneren kommuniziert werden, um nachhaltig erfolgreich zu sein, aber die in ihrer Gesamtheit außerhalb noch zu wenig im Sinne von „herziehend“ wahrgenommen werden.
Wie machen Sie ansiedlungswilligen Unternehmen den Wirtschaftsstandort Kronach „schmackhaft“? „Ansiedlungswillige“ Unternehmen gibt es zumindest so explizit ausgedrückt nicht. Jeder starke Wirtschaftsraum ist attraktiv und zieht alleine schon durch seine Stärke an. Einen schwach entwickelten Standort kann man nicht künstlich aufpeppeln. Unternehmen, die ihren Standort verlagern, tun dies nur, wenn sie es müssen, etwa weil die Standortfaktoren nicht mehr passen. Unsere Region ist an und für sich ein starker hochentwickelter Wirtschaftsraum. Entsprechend müssten wir auch attraktiv für verlagerungsbereite Unternehmen oder auch neu gegründete Unternehmen sein. Es fehlt uns aber die Zentralität und die geballte Größe, die uns auch für wichtige unternehmensnahe Einrichtungen interessant machen würde – wie etwa Forschungs- und Entwicklungsinstitute. Was wir aber haben, das ist das KnowHow der bestehenden Betriebe und der Beschäftigten. Auch das zieht Interessenten von außen an. Ich könnte hier aktuelle zukunftsträchtige Beispiele von Unternehmenswachstum nennen, das nur bei uns hier gerade entsteht, weil hier Fachleute zu Hause sind und auch hier bleiben wollen. Ein bekanntes Beispiel ist auch der Lear Konzern, der seine Standortentscheidung für Kronach damals aufgrund der bereits bei Loewe vorhandenen und quasi „ausgelagerten“ Kompetenzen im elektronischen Bereich getroffen hat. Es sind also weniger die Gewerbeflächen oder die finanziellen Fördermöglichkeiten als vielmehr die „Fühlungsvorteile“ der Region mit den vorhandenen Unternehmen und deren Kernkompetenzen, mit denen wir aufwarten können und müssen. Hinzu kommen weiche Standortfaktoren – wie hoher Wohn- und Freizeitwert, gute Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Bildungslandschaft… Auch hier spielt die Wahrnehmung nach außen – sprich die Vermarktung – eine wichtige Rolle.
Mit welchen besonderen Herausforderungen hat Kronach als ausgewiesene Industrieregion zu kämpfen? Industriestandorte im ländlichen Raum haben häufig ein schlechtes Image auch bei den eigenen Leuten/Jugendlichen, auch weil die Unternehmen weitgehend unbekannt sind und nicht die bekannten Namen tragen. Wir müssen die vielen Marktführer und „hidden Champions“ bewusster machen, um die Jugend in der Region zu halten. Aber selbst wenn dies gelingt, stellt sich die Frage, wie der Fachkräftebedarf gesichert werden kann für Betriebserweiterungen oder gar Neuansiedlungen. Wir haben Vollbeschäftigung und bräuchten neue Kräfte von außerhalb, z. B. durch „Zurückholen“ der Bildungswanderer oder Schaffung „anziehender“ Bildungsangebote. Ansonsten trifft hier genau das zu, was bei den Potenzialen bereits angesprochen wurde.
Wie ist die Ausbildungsmarktsituation im Landkreis Kronach? Wie gut stehen die Chancen für Jugendliche, hier ihren Wunsch-Ausbildungsplatz zu bekommen? Rein zahlenmäßig gab es im abgeschlossenen Ausbildungsjahr im Landkreis Kronach mehr Ausbildungsangebote als Bewerber (Faktor 1,3). Tatsächlich blieb auch kein Bewerber unversorgt, 2/3 erhielten einen Ausbildungsplatz und 1/3 konnte in schulischen Maßnahmen oder Förderprojekten untergebracht werden. Dennoch konnten fast 120 Ausbildungsstellen nicht besetzt werden, z. B. Maurer und Maler, aber auch Verfahrenstechniker Kunststoff…Die Unternehmen sind inzwischen sehr „ausbildungsbewusst“ und tun viel, um Jugendliche zu gewinnen. Die Chancen, den Wunschausbildungsplatz zu erhalten, sind sicherlich gestiegen, wie aber die Anforderungen der Ausbildung auch. Für diejenigen mit den guten Abschlüssen und erforderlichen Soft-Skills stehen die Chancen gut. Im Übrigen gilt auch im Landkreis Kronach der allgemeine Trend, dass immer mehr Jugendliche ins Studium drängen und damit für eine berufliche Erstausbildung zunehmend fehlen. Das Ansehen der dualen Ausbildung muss besser werden bzw. kann ein Studium ja auch später noch nachgeschoben werden.
Welche Faktoren sind Ihrer Meinung nach für die Zukunftssicherung beziehungsweise für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Kronach besonders wichtig? Abgesehen von wirtschafts- und strukturpolitischen Weichenstellungen und Unterstützungen (Förderung, Infrastruktur) hängt die Zukunft auch davon ab, inwieweit die Region selbst den Standort mitgestaltet. Dazu müssen sich die zahlreichen klein- und mittelständischen Unternehmen zusammen mit der Verwaltung aber auch Vereinen… organisieren. In der Regionalwissenschaft ist der Selbstorganisierungsgrad einer Region auch Gradmesser für ihre Zukunftsfähigkeit. Hier sind bei uns noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Doch es gibt schon gute Grundlagen – etwa mit Kronach Creativ, der Rennsteigentwicklungs-Initiative oder dem IZK…, auch Kooperationen von Unternehmen und Auslagerung von vor- und nachgelagerten Prozessen, die gute alte Public-private-Partnership PPP oder das neue bürgerschaftliche Engagement…
Abschließend Ihr Resümee: Sehen Sie den Wirtschaftsstandort Kronach auf einem guten Weg? Gestaltungswille und die Fähigkeit, mit zu gestalten, sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine gute Zukunft des Wirtschaftsstandortes. In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Strukturen im Landkreis Kronach neu geschaffen, bzw. sind neue zu den bereits bestehenden hinzugekommen. Jetzt ist das Entscheidende, die Kräfte gemeinsam auszurichten. Mit dem Amtsantritt der neuen Landkreisführung ist dazu der ideale Zeitpunkt gegeben. hs