„Ich kann was erzählen – immerhin bin ich das älteste Bauwerk hier in Ludwigsstadt!

Mein Ursprung war in grauer Vorzeit. Schriftliche Quellen überliefern, dass ich im ausgehenden 15. Jahrhundert, also 1487/ 88 als aufstrebender Bau auf einem Vorgängerbau, dessen Fundamente im westlichen Teil erhalten blieben errichtet wurde. Man nennt mich „Marienkapelle“. Aber niemand kann sich mehr erinnern wie es damals genau war. War ich eine kleine Kapelle der Gottesmutter geweiht, oder war dies nur ein Tarnname? (Kapelle vor dem Tore, Tresor für den Silberschatz von der Saigerhütte?)

Es gab viele Geschichten und Legenden um mich. Aber erst im Jahre 1988 wurde um mich herum und in mir archäologisch gegraben um mein Geheimnis zu lüften. Auch dies führte zu keinem Beweis für ein Gotteshaus. Allerdings hat man es nicht so ganz genau gemacht, denn über der Eingangstüre kam unter der Putz- schicht eine zugemauerte Öffnung zum Vorschein. Durch eine nähere Untersuchung wurde festgestellt, dass die etwa einen Meter hohe Öffnung  keine Spur eines Durchbruchs hat. Es handelt sich um eine Nische, die sauber mit Kalkmörtel ausgeputzt ist. Zugemauert wurde sie einfach mit Bruchsteinen und Lehm, ohne Bindemittel. Sollte sich in dieser Nische einmal eine Madonnenfigur, oder eine anderes religiöses Standbild befunden haben? Vielleicht ist diese Nische der vermisste Hinweis auf eine ehemalige sakrale Nutzung des Bauwerks. Immerhin war es eine kleine Zeitspanne von der Errichtung bis zur Reformation und so wurde ich 1584 „profaniert“. Das heiß ganz einfach „verweltlicht“. Ich selbst kann mich auch nicht mehr genau erinnern wie es in den Wirrungen der Zeit genau zuging.  Bei den Untersuchungen hat man aber doch  etwas Wichtiges  herausgefunden und das konnte eindeutig bestimmt werden:  Einer der  Deckenbalken  war eine Tanne die im Winter 1487/ 88  gefällt wurde! Um mich,  diesen besonderen Bau im Herzen Ludwigsstadts wurde viel gestritten. Meine Mauern  dienten in all den Jahrhunderten verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten. Ich war Wirtshaus, Armenhaus, Hospital und schließlich wurde ich 1762  in Privathand als Wohnhaus verkauft. Seit 1789 diente ich dem neuen Besitzer als Schmiede und Wohnhaus. Fast zwei Jahrhunderte  war ich eine Schmiede. Der Nagelschmied Meinhardt lebt da mit seiner Familie. Man kann sich vorstellen, dass das nicht so schön war. Unten in der Schmiede war alles rußig, ölig, schwarz, dazu die Gerüche von der  Esse und die Klänge von den lauten Schlägen auf den Amboss. Vor der Türe wurden die Pferde beschlagen. Der strenge Geruch von verbranntem Horn  und den Hinterlassenschaften der Pferde gehörten auch dazu. Oft hörte ich den alten Meinhardt fluchen und schimpfen. Er war kein zart besaiteter Mensch, von Gestalt klein und hager und immer mit einem Tropfen Schnupftabak  an der Nase. Wenn es gerade nichts  Wichtiges zu tun gab,  stand er in einer der Fensternischen unter den vielen vorgefertigten Hufeisen und sah hinaus auf das Leben auf der Straße. Seine Frau hatte es bestimmt nicht einfach mit diesem „Schmiedsgesellen“. Sie war eine warmherzige, mütterliche Frau,  die sich gerne schöneren Künsten widmen wollte. Doch dies wollte wiederum ihr Mann nicht. Man hat zu arbeiten und Gedichte schreiben, oder „sonstiger Unfug“ wollten  nicht in seine Welt passen.

Dennoch,  Rosa seine Frau ließ es sich nicht nehmen,  für sich und ihre Seele und anderen Gutes zu tun. Beim Mistfahren dichtete sie auf dem Zeitungsrand, Papier war zu teuer und zu kostbar und ihr Mann durfte ja auch nichts davon wissen.  Für die Nachbarn machte sie bei besonderen  Anlässen wie zu Hochzeiten, Geburtstagen und anderen  großen Festlichkeiten dann doch Auftragsgedichte,  die sie gegen einen kleinen Obolus verkaufen konnte. Wunderschön, so viel Herzenswärme,   die diese Frau in Gedichte formen konnte.  Zum Glück hat die Geologisch- Heimatkundliche -Arbeitsgemeinschaft in Ludwigsstadt noch rechtzeitig viele dieser Gedichte gesammelt und in Büchern abgedruckt.

 Vieles ist vergangen, auch der Schmied und seine Frau, die Heimatdichterin sind inzwischen Geschichte geworden. Und heute in unserer Zeit- immerhin haben wir das Jahr 2019- gibt es in meinen Mauern auch hin und wieder Leben was mich sehr freut.

 Besonders in der Vorweihnachtszeit und an bestimmten  Markttagen, oder wie zum aktuellen  -750 Jahr- Markt – am 2. Juni wird meine Türe wieder offen stehen. Womöglich kommen sie da gerade zum Waschtag….Gerne dürfen Sie sich umsehen, weiter informieren  und sich an alte Zeiten  erinnern. In Rosas Wohnstube im ersten Stock  werden am Sonntag, 2. Juni, von 14.00- 15.00 Uhr  Gedichte  gelesen. Auch kann der Gedichtband „Mein kleines Buch“, Gedichte von Rosa Meinhardt zum Preis von 5.00 € erworben werden.

 Im unteren Teil der Kapelle, also in der ehemaligen Schmiede gibt es viele Dinge  aus vergangenen Zeiten zum Kauf. Der  Verkaufserlös ist wieder für Kinderwaisenhäuser  und den Diakonieverein bestimmt.  Ich freue mich, dass im Laufe der jüngsten Geschichte schon viele Menschen kamen, um  sich bei mir umzusehen. Ich freue mich auch auf Sie und ihr Interesse an meiner Geschichte. Also dann, am 2. Juni in Ludwigsstadt!“

Karin Weber