Heute beginnt eine neue Ära für alle Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Bayern: Wissenschaftsminister Markus Blume gab am Morgen in München die Einrichtung von elf Promotionszentren bekannt. Eigenständige Promotionszentren wird es an zwei Standorten geben – einer davon ist die Hochschule Coburg mit „Analytics4Health“. Zusätzlich bekommt Coburg noch ein Promotionszentrum im Verbund: „Nachhaltige und intelligente Systeme“ wird mit der TH Würzburg-Schweinfurt und der TH Aschaffenburg eingerichtet. Was das für die Hochschule Coburg bedeutet, erklärt Prof. Dr. Martin Synold, Vizepräsident für Forschung.
Für besonders forschungsstarke Bereiche konnten bayerische Hochschulen beim Wissenschaftsministerium das fachlich begrenzte Promotionsrecht beantragen. Grundlage ist das neue Bayerische Hochschulinnovationsgesetz. In einem wissenschaftsgeleiteten Verfahren wurden die Anträge von einer Expert:innenkommission begutachtet. „Die Qualität der eingereichten Konzepte ist extrem überzeugend“, sagte Wissenschaftsminister Markus Blume. „Unsere Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Technischen Hochschulen haben sich als herausragende Forschungseinrichtungen etabliert. Es ist logische Folge, dass sie nun auch das Promotionsrecht erhalten.“ Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler können in den elf Promotionszentren nun direkt an den Hochschulen promovieren. Blume betonte dabei auch die große Bedeutung der Praxis-Forschung für die Wirtschaft. Weitere Details dazu gibt es in der Pressemitteilung des Ministeriums hier: https://www.stmwk.bayern.de/pressemitteilung/12724/nr-107-vom-04-10-2023.html. Die Hochschule Coburg ist gleich mit zwei Promotionszentren vertreten. Wie das kommt und was es für die Zukunft bedeutet? Prof. Dr. Martin Synold beantwortet die wichtigsten Fragen.
Sie sind Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs an der Hochschule Coburg – welche Rolle spielt Forschung an Hochschulen für angewandte Wissenschaften?
Prof. Dr. Martin Synold: Im neuen bayerischen Hochschulinnovationsgesetz ist Forschung nicht nur für Universitäten, sondern auch für die Hochschulen als Aufgabe verankert – hier in Coburg genießt die Forschung aber schon seit längerem einen hohen Stellenwert. Die Professorinnen und Professoren, der akademische Mittelbau, die Verwaltung und das Präsidium: Alle haben jahrelang daran mitgearbeitet, dass sich ein forschungsförderndes Umfeld entwickelt. Es wurden Bedingungen geschaffen, damit die forschenden Kolleginnen und Kollegen neben der Lehre auch Freiraum und Ressourcen für das wissenschaftliche Arbeiten haben. So ist es uns gelungen, forschungsstarke Professorinnen und Professoren für unsere Hochschule zu gewinnen. Unsere jährlich eingeworbenen öffentlichen Drittmittel für Forschung haben sich deutlich erhöht. Zusätzlich haben auch wir mehrere Millionen Euro für die Bearbeitung wirtschaftlicher Forschungsaufträge erhalten. Wir haben es geschafft, in Forschungsschwerpunkten eine Community aufzubauen, die in Franken, in Bayern, deutschlandweit und auch international geachtet wird. Als Bestätigung dieser Erfolge dürfen wir jetzt zwei Promotionszentren einrichten. Das freut uns riesig!
In welchen Bereichen bekommt die Hochschule Coburg das Promotionsrecht?
Es werden zwei Promotionszentren aufgebaut: „Analytics4Health“ bündelt Forschungsaktivitäten, um die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen im Kontext ihrer Umwelt nachhaltig zu verbessern. Wir wollen hier wissenschaftsbasierte Lösungen für komplexe, gesellschaftliche Herausforderungen entwickeln: Themen wie der Wunsch nach selbstbestimmten Leben bis ins hohe Alter, berufliche Rahmenbedingungen in einer alternden Gesellschaft, Gesundheitsvorsorge bis hin zu Ressourcenknappheit auch im internationalen Kontext. Für das Ziel innovativer, technologieunterstützter Gesundheitsförderung verfolgen wir konsequent einen interdisziplinären Ansatz in den Forschungsbereichen Bioanalytik, Gesundheits- und Datenwissenschaften. Das schließt auch Querschnittsthemen wie „Gesundes Bauen“ und Informationstechnologien ein. Hierfür haben wir in unserer Region eine hohe Expertise und freuen uns, dass wir die Kraft und Vernetzung im Innovationsdreieck Coburg – Kronach – Lichtenfels noch stärker nach außen präsentieren können: Mit „Analytics4Health“ ist Coburg einer von nur zwei genehmigten Hochschulstandorten in Bayern, die ein eigenständiges Promotionszentrum einrichten dürfen!
Bei unserem zweiten Promotionszentrum „Nachhaltige und intelligente Systeme“ kooperieren wir mit der federführenden TH Würzburg-Schweinfurt und der TH Aschaffenburg. Auch hier geht es um drängende Zukunftsaufgaben: um die Etablierung nachhaltiger Prozesse und Wertschöpfungsketten, sei es im Bereich der Mobilität, der Energie- und Infrastruktursysteme oder bei Produktion und Materialien. Dabei ist die Forschung der Hochschule Coburg anwendungsbezogen und interdisziplinär: Themen wie regenerative Energieerzeugung, intelligente Energiespeichersysteme, energieeffiziente Gebäude bis hin zu vernetzter urbaner und regionaler Mobilität erlauben einen direkten Wissenstransfer mit der sehr starken Wirtschaft im Innovationsdreieck. Wir legen großen Wert darauf, dass die Lösung konkreter, praktischer und gesellschaftlich relevanter Fragestellungen und wissenschaftliche Exzellenz Hand in Hand gehen.
Was verändert sich durch das Promotionsrecht?
Das Promotionsrecht hat eine weit reichende profilstärkende Strahlkraft, weil es zeigt, dass hier zum einen nachweislich exzellent geforscht wird und zum anderen vergleichsweise fokussiert promoviert werden kann – und zwar unabhängig von dem bisher üblichen kooperativen Modell, bei dem eine HAW eine Promotion gemeinsam mit einer Universität betreut. Derzeit forschen 58 Promovierende an der Hochschule Coburg– in der Regel als kooperative Promotionen. Diese wird es auch künftig geben; die beiden Varianten ergänzen sich. Aber: In einem Promotionszentrum werden die formalen Strukturen zusammengefasst und dadurch deutlich vereinfacht. Es ist wirklich sehr, sehr zukunftsweisend, dass eine intensive disziplinübergreifende Betreuung in einem breiten Fächerkanon ermöglicht wird. Das macht die Hochschule für den wissenschaftlichen Nachwuchs und auch als akademische Arbeitgeberin sehr attraktiv. Das Promotionsrecht gilt zwar nicht für die gesamte Hochschule, aber es strahlt auf andere Bereiche aus – ich denke: Es ist der Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen.
Gibt es an der Hochschule Coburg Ambitionen für weitere Promotionszentren?
Wir sind sehr stolz, dass wir zwei Promotionszentren einrichten dürfen – diese müssen wir jetzt mit Leben füllen. Mitglieder eines Promotionszentrums haben hohe individuelle akademische Voraussetzungen zu erfüllen. Wir werden gezielte Qualifikationsprogramme für Promovierende auflegen und neue Kolleginnen und Kollegen an die Promotionszentren heranführen. Das Promotionsrecht muss nach sieben Jahren verlängert werden – die Zeit bis dahin werden wir intensiv nutzen…
Erwarten Sie, dass sich die Zahl der Promovierenden in Coburg kurz- bis mittelfristig signifikant verändert?
Ja, das ist das Ziel! Wenn Studierende merken: „Oh, das ist toll, ich kann in meinem Thema wissenschaftlich weiter gehen“, dann ist der Übergang von der Masterarbeit zu einer Forschungsarbeit ab jetzt viel leichter. Eine direkte Betreuung und gute strukturelle Bedingungen vereinfachen die Promotionszeit bei gleichzeitig hohem wissenschaftlichem Niveau. Auch für Professorinnen und Professoren, die jetzt selbst das Hauptgutachten übernehmen können und die Forschungsarbeiten unmittelbar begleiten, hat diese neue Promotionsmöglichkeit spürbare Vorteile. Letztendlich ist es ein sich selbst verstärkendes System, das für alle Beteiligten attraktiv ist.
Was bedeutet das im Verhältnis von HAWs und Unis – welche Unterscheidungsmerkmale gibt es noch?Die Grundlagenforschung wird derzeit hauptsächlich an den Universitäten geleistet während wir an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften eher anwendungsbezogene Forschung betreiben. Das hat den großen Vorteil, dass wir uns viel stärker in den interdisziplinären Bereichen engagieren und der Wissenstransfer zu Gesellschaft und Wirtschaft einfacher ist. Die fächerübergreifende Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen mit ihren verschiedenen Blickwinkeln bereichert die Forschung. Außerdem: Forschungsgelder kommen nicht von allein, sondern müssen von den Forschenden erwirtschaftet werden – gemeinsam kann man da viel mehr erreichen.
Interview: Natalie SchalkFotos:
- Prof. Dr. Martin Synold – Foto: Natalie Schalk / Hochschule Coburg
- Ein Beispiel für interdisziplinäre und anwendungsorientierte Forschung an der Hochschule Coburg sind Forschungsprojekte zum Biozideinsatz in Baustoffen: „OMiBiB“ (Optimierung und Minimierung des Biozideinsatzes in Baustoffen ) und BayÖkotox (Ökotoxikologische Bewertung Biozid-haltiger Baustoffe mittels konventioneller und systembiologischer Methoden). Nadine Kiefer (links) und Fabienne Reiß sind zwei Doktorandinnen, die derzeit zu diesen Themen an der Hochschule Coburg promovieren. Foto: Natalie Schalk / Hochschule Coburg.
- Fabienne Reiß promoviert im Projekt BayÖkotox an der Hochschule Coburg und beschäftigt sich damit, wie sich Biozide aus Baustoffen auf Mikroorganismen des Bodens auswirken. Foto: Natalie Schalk / Hochschule Coburg.
- Nadine Kiefer promoviert an der Hochschule Coburg über Biozide in Baustoffen – und wie sie beispielsweise bei Regen in den Boden gelangen. Foto: Natalie Schalk / Hochschule Coburg.