Wie Menschen aus Lebensfrust ein frohes Dasein machen. Ein offenes, emotionales Gespräch mit Jens Neugebauer. Wir hatten ihn schon während einer Ausstellungseröffnung im Sonneberger Landratsamt kennengelernt. Er und viele andere Teilnehmer haben uns an jenem 21.3.2017 zutiefst beeindruckt.
Er ist Vorsitzender und Gründer der Selbsthilfegruppe „Lebensfrohhoch3 – Eltern helfen Eltern“ und hat die Ausstellung „Glück kennt keine Behinderung“ selbst mitorganisiert. Diese Ausstellung zeigt, mit wieviel Lebensfreude Menschen mit Down Syndrom in unserer Gesellschaft leben und es ganz normal ist. Einen Menschen mit Trisomie 21 im Alltag zu erleben, wie er lernt, arbeitet und Spaß am sozialen Miteinander hat. Ab 24.4. ist die Ausstellung bis Mitte Mai in der Stadtverwaltung Sonneberg zu sehen.
Wir haben Jens, der heute mit seiner Familie in Coburg lebt und 2009 mit seiner Frau die Selbsthilfegruppe gründete, ein paar Fragen gestellt. Die Gruppe ist heute in vier Landkreisen und mittlerweile für über und mit 10 Elternpaaren aktiv.
amadeus:Eine tolle Ausstellung! Sehr emotional und schön gestaltet. Zufrieden?
Jens Neugebauer: Danke. Ja, mit der Resonanz zur Eröffnung sind wir sehr zufrieden. Der Tag war ja ganz bewusst gewählt. Leider war am Welt-Down-Syndrom-Tag in übergreifenden Medien, sei es Fernsehen oder Zeitung, der Fokus beim Thema Down Syndrom überwiegend auf Abtreibung und Erkrankung gerichtet. Das ärgert! Unsere Kinder sind nicht krank nur weil sie das Down Syndrom haben. Das Down Syndrom ist ein Fehler in der Zellteilung und bedingt, dass das 21. Chromosom 3-fach statt 2-fach angelegt ist. Es ist nicht vererbbar und kann in jeder Schwangerschaft auftreten.
amadeus:Gibt es noch weitere Vorurteile?
Jens Neugebauer: Ja leider immer wieder so Sachen wie: DS-Betroffene können nicht laufen, nicht sprechen nicht lesen & schreiben können oder nicht alt werden. Alles totaler Blödsinn! Den Betroffenen kann man sehr viel zutrauen. Es gibt eine Vielzahl von Förderungen einer individuellen Entwicklung. Die Bandbreite möglicher Entwicklungen ist heute riesengroß.
amadeus:Vorurteile. Sagt ja schon alles, oder?
Jens Neugebauer: Fakt ist, dass es zur unkorrekten Auseinandersetzung mit dem Thema kommt, weil Menschen die über das Thema schreiben, selbst kaum oder gar keine Berührung zu Kindern und Erwachsenen mit Down Syndrom haben. Wie lässt sich sonst erklären, dass wir als Eltern mit einem besonderen Kind unsere Lieben ganz anders wahrnehmen. In einem Gespräch mit einer Mutter sagte mir diese: „Für mich ist er ganz normal, ich nehme seine Behinderung kaum war, wenn nicht andere mich nicht immer daran erinnern würden“.
amadeus:Wo siehst Du die Ursache?
Jens Neugebauer: Die Wahrnehmung einer Besonderheit beginnt in den Köpfen der Menschen und wem will man es verübeln, auf Grund nicht selbst gemachter Erfahrungen, dass sich ein Sicherheitsabstand zwischen einem selbst und der Besonderheit aufbaut.
Und genau hier möchten wir als Eltern von Kindern mit Down Syndrom und der Selbsthilfegruppe ansetzen. Wir wollen niemanden von etwas überzeugen, was er sich selbst nicht zutraut, aber wir möchten zeigen, wie viel Spaß unsere Kinder machen. Dass sie mit der entsprechenden Förderung viel erreichen können, dass ein Spielen auch mit Nichtbehinderten Kindern funktioniert, viel Spaß bringt und dass man keine Angst haben muss.
amadeus:Gibt es einen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen?
Jens Neugebauer: Naja, Kinder sind hierbei ein gutes Beispiel, denn sie sind unheimlich direkt und offen. Wenn sie eine Frage haben, wird diese auch gestellt. Wenn etwas komisch ist, wird es gesagt und somit weiß man bei Ihnen immer klar, woran man ist. Denn beim Spielen, Lachen und Toben sind alle gleich.
amadeus:Ja, es ist ein Idealbild, dass man gerne immer im Leben haben möchte. Wo und was könnte man aus Eurer Sicht noch verbessern?
Jens Neugebauer: Es wäre wünschenswert im Verbund mit interessierten Ärzten, werdende Eltern, die die Diagnose Down Syndrom bekommen – egal ob vor oder nach der Geburt – zu begleiten. Es ist enorm wichtig, während der Schwangerschaft ärztlich gut betreut zu sein. Doch gerade im psychosozialen Bereich kann es helfen, mit Betroffenen in den Austausch zu treten und sich selbst ein Bild vom realen Umgang mit einem Kind mit Down Syndrom zu machen. Es ist und bleibt eine große Verantwortung. Aber, vielseitige Hilfsmöglichkeiten, die in Anspruch genommen werden können, sind im Bereich des Down Syndroms abrufbar und sollen im Alltag helfen und unterstützen. Das Entwicklungspotential eines solchen Kindes ist riesig und die Liebe die auf Sie wartet wird, auch wenn es kitschig klingt, grenzenlos sein.
amadeus:Das klingt gar nicht kitschig. Aus eigener Erfahrung weißt Du, dass das geht, oder? Es gibt so viele Dinge auf unserer Welt, die man erst beurteilen kann, wenn man sie erst selbst erlebt hat. Zum Beispiel mit Deiner eigenen lieben Familie?
Jens Neugebauer: Ja, das ist so. Ich selbst habe überlegt meinen Sohn wegzugeben, und ich schäme mich nicht für diese Gedanken, denn sie sind wichtig. Sie sind wichtig, um ein Kind anzunehmen und um sich auf das Kind einzulassen und es so zu nehmen wie es ist. Das hat unter anderem auch dazu geführt, dass wir uns bewusst für ein drittes Kind entschieden haben. Wir haben natürlich die wichtigsten Untersuchungen machen lassen, damit wir nicht wieder überrascht werden. Für uns stand aber fest, egal ob mit oder ohne Behinderung, wir wollen das Kind, weil wir jetzt wissen, dass wir es schaffen, tolle Eltern zu sein.
amadeus:Steckt in dieser Herausforderung das Glück ohne Grenzen?
Jens Neugebauer: Zum Teil. Diese Erfahrung hat mich als Mensch verändert und dafür bin ich sehr dankbar. Wie jedem Vater geht mir das Herz auf, wenn ich nach Hause komme und mir meine 3 Kinder entgegen rennen und ich sehe, wie Nils sich bemüht, mir von seinem Schultag zu erzählen. Wenn ich das Leuchten in seinen Augen sehe, mit wie viel Freude und Energie er seinen Alltag meistert, …
amadeus:..dann weißt Du ‚ICH HABE ALLES RICHTIG GEMACHT‘?
Jens Neugebauer: Ja, genau. Es gibt noch etwas auf das ich sehr stolz bin. Wir als Selbsthilfegruppe haben es gemeinsam als Team erreicht, etwas für die Akzeptanz unserer Kinder zu schaffen. Man macht ja so etwas nicht alleine. Wir haben unsere Kinder fotografieren lassen und sie werden als kleine und große Stars in der Ausstellung anderen Menschen helfen eine neue Sichtweise auf Menschen mit Down Syndrom zu bekommen. Sie sind Botschafter in eigener Sache. Und die Muttis, Vatis, Geschwister und Angehörigen, die dahinter stehen, sind für mich Helden des Alltags.
Denn so sieht es aus wenn lebensfrohhoch3 Lebensfrust frisst.
amadeus: Kann man Euch unterstützen?
Jens Neugebauer: Gerne. Wer sich von unserer Arbeit angesprochen fühlt, laden wir recht herzlich ein, Teil unseres tollen Teams zu werden. Wir sind dankbar über Hilfe in Form von interessanten Vorträgen rund um die Themen Behinderung, Integration, Selbsthilfe oder auch zum Thema Down-Syndrom selbst. Übrigens bieten wir diese aber auch von unserer Seite aus gerne Schulen oder öffentlichen Trägern an.
Eine Selbsthilfegruppe lebt von der Öffentlichkeitsarbeit und damit wir diese auch professionell angehen können würden wir uns über eine Geldspende sehr freuen. Von diesen Geldern erhalten betroffene Eltern kostenlos über die Selbsthilfegruppe Informationsmaterialien wie Bücher, Broschüren und Vorsorgeinformationen. An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, uns recht herzlich bei allen Spendern und Unterstützern zu bedanken. Ohne diese Hilfe wäre auch so eine Ausstellung nicht möglich.
Alle notwendigen Infos haben wir auf unserer Homepage www.lebensfrohhoch3.de zusammen gestellt.