Interview mit dem Südthüringer Bundestagskandidaten Hans-Georg Maaßen (CDU)

Herr Maaßen, wie kam es dazu, dass Sie sich um das Mandat für den Bundestag in der Region Südthüringen beworben haben?
Hans-Georg Maaßen: Ich bin zunächst einmal gefragt worden, ob ich grundsätzlich bereit wäre, mich mit Vertretern der CDU aus der Region zu treffen, um über die politische Situation in Südthüringen nach dem Weggang des bisherigen Bundestagsabgeordneten Mark Hauptmann zu sprechen. Das erste Treffen war sehr konstruktiv, denn wir haben im Laufe des Gesprächs gemerkt, dass wir doch in dieselbe politische Richtung denken. Deshalb ist mir schlussendlich auch vorgeschlagen worden, mich um das Mandat zu bewerben. Natürlich war mir bewusst, dass es eine Herausforderung wird, für die CDU in Südthüringen zu kandidieren, schließlich sind die Bürger nach dem jüngsten Skandal um Mark Hauptmann von der Politik und auch insbesondere der CDU massiv enttäuscht. Meine Motivation zu kandidieren ist, dass ich schwere politische Fehlentwicklungen in Deutschland sehe, in der Wirtschaftspolitik, bei der Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit, bei der Corona-Bekämpfung, um nur einige Beispiele zu nennen, und ich mit meiner Berufs- und Lebenserfahrung im Bundestag für Südthüringen helfen will, dass diese Fehlentwicklungen korrigiert werden. Südthüringen ist das ein wunderschönes Stück Deutschland – und ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass auch so schön bleibt. Und dazu muss unbedingt verhindert werden, dass Leute ohne Erfahrung künftig in unserem Land Politik machen. Und ich möchte Lobbyarbeit für Südthüringen in Berlin machen.

Bei der Nominierungsveranstaltung gab es einige Stimmen, die lieber einen Südthüringer als Bundestagskandidaten gehabt hätten. War das für Sie ein Vertrauensbruch?
Hans-Georg Maaßen: Ich bin mit 86 Prozent der Stimmen gewählt worden – ich würde mir ehrlich gesagt Sorgen machen, wenn es noch mehr gewesen wären (lacht). Es ist ein Wettbewerb gewesen und da muss es so sein, dass debattiert wird und am Ende auch der Gegenkandidat Stimmen bekommt. Ich kann nur sagen, dass es am Ende nicht so wichtig ist, woher man kommt, sondern vielmehr was man kann. Wenn Sie einen guten Arzt brauchen, fragen Sie auch nicht, woher er kommt, sondern ob er was kann, und der FC Bayern wäre nicht so gut, wenn er nur Fußballspieler aus München nehmen würde. Ich war Anfang der 1990er Jahre als junger Ministerialbeamter erstmals im Bundestag. Das politische Berlin kenne ich sehr gut und ich wäre vermutlich einer der wenigen Politiker, die ein Gesetz selbst schon einmal entworfen und geschrieben haben.

Sie gehen mit dem Slogan „Deutschland kann es besser“ an den Start. Was muss sich Ihrer Meinung nach alles in unserem Land ändern?
Hans-Georg Maaßen: In allererster Linie braucht es einen Mentalitätswechsel. Wir müssen bereit sein, Probleme wieder als Probleme zu bezeichnen, darüber zu sprechen und sie zu lösen. Wir Deutschen müssen zum Beispiel begreifen, dass wir in vielen Dingen längst nicht mehr Weltspitze sind. Denn wenn wir weiter an diesem Glauben hängen, dann werden bestehende Probleme nicht wahrgenommen. Ein Beispiel hierfür ist die überzogene Bürokratie, die Unfähigkeit große Projekte innerhalb angemessener Zeit zu realisieren. Ich erinnere an den Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes und den Bau des Berliner Flughafens. Soll es wirklich das „neue Normal“ sein, dass der Bau eines Flughafens so lange dauert – und wir uns für die Pannen am Bau noch nicht einmal schämen? Also aus internationaler Sicht war das ein Desaster. Wir sind zwar nicht mehr die Besten, aber ich finde, wir könnten es wieder sein, weil wir das Potenzial dazu haben. Dazu dürfen aber keine politischen Leichtgewichte“ ins Amt. Deutschland braucht weniger Berufspolitiker, sondern Leute mit Lebenserfahrung, die die Politik gestalten wollen – wie zum Beispiel einen Arzt als Gesundheitsminister.

Wie sieht für Sie ein sozial gerechtes Deutschland aus?
Hans-Georg Maaßen: Wir haben uns in Deutschland einen gewissen Wohlstand aufgebaut. Und natürlich bin ich der Meinung, dass wir ein System brauchen, bei dem niemand durchs Raster fällt und jedermann ohne Angst vor der Zukunft ein sicheres Leben führen kann. Aber ich finde, dass wir die Bürger nicht wie Abhängige an die „staatliche Nadel“ nehmen und sie vom Staat abhängig machen dürfen. Der Staat greift durch eine hohe Steuer- und Abgabenlast tief in das Portemonnaie der Bürger, um das Geld dann wie ein Wohltäter in Form von staatlichen Zuwendungen und unter politischen Bedingungen zurückgeben. Es wäre doch viel gerechter, wenn die Bürger mehr Netto vom Brutto haben und dann selbst entscheiden könnten, wofür sie ihr Geld schlussendlich ausgeben.

Wie wichtig ist Ihnen das Thema Bildung? Was muss hier zukünftig besser gemacht werden?
Hans-Georg Maaßen: Der wichtigste Rohstoff, den wir in Deutschland haben, sind kluge und gebildete Menschen, und die Bildung und Erziehung unserer Kinder ist der Schlüssel zu diesem Rohstoff. Allerdings sehe ich das Problem, dass unsere Kinder an den Schulen nicht ideologiefrei ausgebildet werden. Selbstverständlich dürfen unsere Kinder nicht zum Nationalsozialismus erzogen werden, aber auch die linken Ideologien müssen auch aus dem Lehrplan verschwinden. Fridays for Future, Gendersprache und die Rassismusdebatte gehören nicht in den Unterricht. Die Institution Schule sollte wirklich nur der reinen Bildung und Erziehung dienen.

Bei der bevorstehenden Bundestagswahl geht es um alles. Ein Richtungswechsel nach der 16 Jahre langen Kanzlerschaft von Angela Merkel steht an. War die Politik von Angela Merkel wirklich so schlecht?
Hans-Georg Maaßen: Ich habe Frau Merkel mehrfach kennenlernen dürfen. Sie ist bemerkenswert durchsetzungsstark und hat eine herausragende Auffassungsgabe. Trotzdem ist in ihrer Amtszeit einiges liegen geblieben, sie hat eine teilweise linke Politik vertreten und der personelle Neuanfang nach ihr sollte als Chance genutzt werden, um neue Weichen zu stellen. Wichtig wäre es, von nun an ideologiefrei Politik zu machen und nicht die Leute als Problem zu sehen, die die Probleme ansprechen. Denn sonst kann es wirklich so weit kommen, dass künftig Leute Politik machen, die über sehr wenig Lebenserfahrung verfügen.

Warum treten Sie für die CDU an – wo Sie doch von vielen Mitgliedern ausgegrenzt werden?
Hans-Georg Maaßen: Ich würde nicht sagen, dass ich von CDU-Mitgliedern ausgegrenzt werde. Einige Parteifunktionäre scheinen mit mir ein Problem zu haben, an der Basis sieht es aber ganz anders aus. Es gibt unter den Parteifunktionären viele, die Probleme nicht sehen wollen und dementsprechend auch nicht über sie sprechen möchten. Das kann ich diesen Mitgliedern aber leider nicht ersparen und dann ist es völlig normal, dass man an der ein oder anderen Stelle aneckt.

Steht die CDU wirklich noch für eine starke Mitte?
Hans-Georg Maaßen: Die CDU möchte eine Volkspartei sein, deshalb ist es wichtig, dass sie alle christdemokratischen Strömungen und nicht nur einzelne abbildet. Was die CDU stark gemacht hat, ist die Tatsache, dass hier Menschen mit ganz unterschiedlichen Positionen, wie zum Beispiel Arbeitgeber und Arbeitnehmer, miteinander im Dialog stehen, um im Parteiprogramm eine Lösung zu finden, die am Ende von allen Mitgliedern getragen wird. Leider beobachte ich, dass genau das in den letzten Jahren verloren gegangen ist. Der linke Flügel der Partei ist sehr stark geworden und möchte die eigenen Interessen gerne gegen den konservativen und liberalen Teil der Mitglieder durchsetzen. Ich würde mir wünschen, dass wir den Gedanken der Volkspartei wiederbeleben und sich beide Flügel wieder gemeinsam auf eine Lösung verständigen.

Ist Armin Laschet wirklich der richtige Kandidat für die CDU und für unser Land?
Hans-Georg Maaßen: Zuerst einmal ist es wichtig, dass sich CDU und CSU nach einem quälend langen Entscheidungsprozess auf ihn als Kanzlerkandidaten geeinigt hatten. Nun müssen wir ihn, unabhängig davon, ob wir mit der Entscheidung zufrieden sind, auf den richtigen Weg bringen, damit er mit voller Kraft in den Wahlkampf starten kann. Denn wir müssen uns auch vor Augen führen, was passiert, wenn Armin Laschet nicht der nächste Bundeskanzler wird: Den jüngsten Umfragen zufolge ist die Wiederbelebung des Sozialismus durch eine Kanzlerschaft der Grünen unter Annalena Baerbock die wahrscheinlichste Alternative. Ob Armin Laschet der richtige Kandidat ist, der dieses Szenario verhindern kann, wird sich schlussendlich erst nach der Wahl zeigen.

Sie warnen vor einer Grün-roten-dunkelroten Bundes-politik. Was würde eine solche Politik national aber auch international bedeuten?
Hans-Georg Maaßen:  Eine Regierung unter Federführung der Grünen und Annalena Baerbock würde Deutschland massiven Schaden zufügen. Die Agenda der Grünen geht an der Realität komplett vorbei. Dies gilt vor allem für die Lebensrealität der Menschen, die nicht in Ballungszentren leben, sondern wie wir in ländlichen Regionen. Nehmen wir allein die CO2-Gesetze: Diese Eingriffe gefährden die Konkurrenzfähigkeit unserer Automobilindustrie – und wenn die Automobilindustrie schwächelt, bekommt der Mittelstand in Deutschland dauerhafte Probleme. Die Grünen werden oftmals als „Verbotspartei“ betitelt, doch dem muss ich widersprechen. Sie verbieten nicht, sondern sie verbreiten ihre Ideologie. Sie wollen den Bürgern ihre Lebens- und Moralvorstellung aufzwingen, ihnen sagen, was sie essen oder welches Auto sie fahren dürfen. Ich lehne das strikt ab, denn das grenzt meiner Meinung nach schon stark an Sozialismus. Es sollte jedem selbst überlassen sein, ob oder wann er beispielsweise Fleisch essen möchte oder ob er einen SUV fährt. Da darf auch kein sozialer Druck aufgebaut werden, um Leute gegen ihren Willen zu zwingen, ihren Alltag zu verändern.

Was muss Ihrer Ansicht nach passieren, damit die Bürger insbesondere „im Osten“ wieder Vertrauen in die Politik der CDU fassen und die AfD nicht doch als stärkste Kraft aus dem Wahlkampf hervorgeht?
Hans-Georg Maaßen: Ich habe den Eindruck, dass viele Berufspolitiker es verlernt haben, den Menschen zuzuhören, und dass sie nicht mehr als deren Interessenvertreter im Parlament auftreten. Stattdessen treten sie belehrend auf. Das macht sich die AfD zunutze, indem sie als eine Art „Kümmererpartei“ auftritt. Dabei reichen sie den Bürgern aber eine vergiftete Frucht, denn so radikal, wie der Höcke-Flügel nun mal ist, sind auch die Lösungen, die die AfD anbietet. Die Probleme sind aber so komplex, dass sie sich nicht mit dem Vorschlaghammer lösen lassen. Nehmen wir zum Beispiel die Migration: Ich selbst bin ein scharfer Kritiker der derzeitigen Migrationspolitik. Doch die Migration gänzlich zu unterbinden, den Familiennachzug ganz und gar abzuschaffen und alle Migranten abzuschieben, wie es teilweise gefordert wird – das kann nicht funktionieren. Dass die CDU auch wieder gewinnen kann, hat  Ministerpräsident Haseloff am vergangenen Sonntag in Sachsen-Anhalt gezeigt, wo er ein überragendes Ergebnis erzielt hatte. Die Menschen vertrauen ihm auch deshalb, weil er eine Politik nah an den Interessen der Bürger gemacht hat, auch wenn er wie bei dem Thema „Erhöhung der Rundfunkgebühr“ gegen den Strom geschwommen ist.

Ist das einst gewollte „Multikulti“ für Deutschland der richtige Weg? Wie viel Zuwanderung verträgt unser Land eigentlich?
Hans-Georg Maaßen: Ich war nie ein Anhänger des Begriffs „Multikulti“ – denn ich lehne es ab, dass der Staat eine Ideologie vorgibt, nach der sich die Bürger richten müssen. Deshalb finde ich, dass Deutschland gerade so viel Einwanderung verträgt, wie die Deutschen es möchten. Natürlich sehe ich, dass die Integration in vielen Fällen positiv verläuft, aber Integrationsprobleme sind nun mal auch da und sie können nicht wegdiskutiert werden. Die Ursache liegt auch bei Ausländern, die sich nicht in unsere Gesellschaft integrieren möchten, indem sie zum Beispiel nicht die deutsche Sprache lernen und sich im Alltag deshalb nur in ihrer Parallelgesellschaft bewegen. Andererseits darf man die Integrationsbereitschaft der Deutschen nicht überfordern. Ich bin der Meinung, wenn die Mehrheit der Deutschen nicht noch mehr Leute integrieren möchte, dann ist auch das eine demokratische Entscheidung, die der Staat respektieren sollte. In der Schweiz hat zum Beispiel so manche Volksabstimmung gezeigt, dass es eben nicht funktioniert, den Bürgern den „Multikulti-Gedanken“ aufzuzwingen.

Sehen Sie ein friedvolles Zusammenleben zwischen der christlichen Kultur und der des Islams in Deutschland in Gefahr?
Hans-Georg Maaßen:  Prinzipiell sehe ich nicht, dass das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen in Gefahr ist. Deutsche mit Migrationshintergrund gehören zu Deutschland, aber – wie Horst Seehofer einmal sagte – der Islam selbst jedoch nicht – das geht aus der deutschen Geschichte hervor, denn der Islam hat unsere Kultur und unser Land nie geprägt und stand dem Westen über Jahrhunderte feindlich gegenüber. Und: Der Staat muss darauf achten, dass die gelebte Religion der Muslime verfassungskonform bleibt. Muslimischer Antisemitismus, Extremismus und Terrorismus sind inzwischen auch bei uns ein Problem.  

Im Südthüringer rot-rot-grünen Lager gibt es viele Überlegungen mit einem starkem Gegenkandidaten, Hans-Georg Maaßen (CDU) den Weg in den Bundestag in Berlin zu verbauen. Bisher erfolglos. Foto: Jens Fleischhauer

Es fühlt sich so an, als hätte die innere Sicherheit in unserem Land in den letzten Jahren an ihrer Strahlkraft verloren. Woran liegt es, dass Frauen nachts nicht mehr unbeschwert in ihrer Stadt unterwegs sein können? Wie könnte man das wieder ändern?
Hans-Georg Maaßen: Auch hier müssen die Probleme beim Namen genannt werden. Wer die Probleme verschweigt, macht sich schuldig und wird Teil des Problems. Der polizeilichen Kriminalstatistik zufolge werden über 40 Prozent der Sexual- und Tötungsdelikte von Menschen mit Migrationshintergrund begangen. Es ist kein Rassismus, wenn man das ausspricht, sondern eine Forderung an die Politik, das zu ändern. Verantwortlich sind in erster Linie die Landespolitiker, die für den Vollzug des Ausländerrechts und des Strafrechts zuständig sind. Das Recht muss angewendet werden. Was vermitteln wir der Bevölkerung, wenn Straftäter auf frischer Tat ertappt werden und nach der Verhaftung trotzdem wieder auf freien Fuß gesetzt werden? Und was  denkt ein Täter, der trotz vieler Straftaten nicht ins Gefängnis muss und auch nicht abgeschoben wird? Diese Leute verachten uns wegen unserer Schwäche und werden wieder straffällig. Straffällige Migranten müssen im Interesse unserer Bürger abgeschoben werden, so wie es das Gesetz vorsieht. Sicherlich ist das in manchen Fällen nicht einfach, wenn die Herkunftsstaaten bei der Rückübernahme nicht kooperieren. Aber der Staat darf sich von straffälligen Asylbewerbern nicht auf der Nase herumtanzen lassen und diese gewalttätigen Migranten dürfen keine Gefahr für die Bürger darstellen. Ich erinnere an den Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, der unter zahllosen Identitäten in Deutschland lebte, Straftaten beging und letztendlich bei dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt viele Menschen tötete und schwer verletzte. Man hätte seine Einreise verhindern können und er hätte viel früher abgeschoben werden können. Wenige Tage nach seinem Tod übersandte die tunesische Botschaft seine Heimreisepapiere. Dies war ein völliges politisches Versagen. Mit Blick auf die Lage in Thüringen habe ich habe den Eindruck, dass die Landesregierung Abschiebungen verhindert und damit die Sicherheitslage verschärft.

Was meinen Sie mit Ihrer Aussage: „Wer die Moral über das Recht stellt, verliert am Ende beides“?
Hans-Georg Maaßen: Im Jurastudium habe ich gelernt: Jeder Mensch hat seine eigene, persönliche Moral, nach der ein jeder sein Leben individuell gestaltet. Dem gegenüber steht das Recht, das lediglich das moralische Minimum einer Gesellschaft ist. In Deutschland zeichnet sich der Trend ab, dass einige wenige ihre eigenen Moralvorstellungen allen anderen aufzwingen wollen. Diese Moralisierung der Politik, wie es zum Beispiel im Hinblick auf den Veganismus oder den Umweltschutz der Fall ist, sehe ich sehr kritisch, denn die eigene, subjektive Moralvorstellung darf niemals zum Gesetz werden. So würde das Recht schlussendlich gemäß dem Motto „der Zweck heiligt alle Mittel“ gebeugt werden. Und auch die Moral würde ihre Heimat verlieren.

Wie gehen die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender mit der Wahrheit um? Nimmt die Politik hier zu viel Einfluss?
Hans-Georg Maaßen: Die öffentlich-rechtlichen Sender arbeiten zwar frei von staatlichem Einfluss. Aber ich sehe schon, dass dort auch Journalisten arbeiten, die wahrscheinlich besser Politiker geworden wären – schließlich versuchen sie, in ihren Sendungen Politik zu machen. Um zu manipulieren, muss nicht gelogen werden. Es reicht, wenn man beispielsweise in eine Sendung die Experten einlädt, die die gewünschte Meinung haben, und andere Experten nicht einlädt. Mir fehlt beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Ausgewogenheit in der Berichterstattung, dass nämlich auch andere Meinungen zu Wort kommen. Kennen Sie einen konservativen oder liberalen Redakteur oder Talkmaster? Hinzu tritt eine Tendenz, den Bürger erziehen und belehren zu wollen, anstatt ihn zu informieren. Wir brauchen eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und eine Reduzierung auf seine wirklichen Aufgaben im Sinne einer Grundversorgung.

Missbraucht die Politik gerade ihre Macht im Hinblick auf die Meinungs- und Pressefreiheit?
Hans-Georg Maaßen: Die Medien können in Deutschland frei berichten können, das heißt aber noch lange nicht, dass sie auch ausgewogen berichten. Der britische Journalist Chesterton hatte einmal gesagt: Schlimmer als die Zensur der Presse ist die Zensur durch die Presse. Wenn nämlich die Medien bestimmte Themen und Meinungen nicht aufnehmen. Der Medienpluralismus leidet zuletzt auch oft unter dem wirtschaftlichen Druck der Medien, vor allem der Printmedien, so dass Redaktionen zusammengelegt werden mit der Folge, dass eine Zentralredaktion unterschiedliche Zeitungen beliefert, in denen dann das gleiche steht. 

Schauen wir uns die derzeit geltenden Corona-Verordnungen einmal genauer an. Waren die Einschnitte verhältnismäßig oder ist die Politik hier zu weit gegangen?
Hans-Georg Maaßen: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine ganz entscheidende Vorgabe im deutschen Recht. Bei jeder staatlichen Maßnahme muss geprüft werden, ob sie erforderlich, geeignet und angemessen ist. Man muss die Folge- und Nebenwirkungen bedenken, die in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen zur Maßnahme selbst. Die Medizin darf also nicht gefährlicher sein als die Krankheit. Und es muss geprüft werden, ob kein milderes Mittel zu dem gleichen Erfolg führen kann. Ich habe Zweifel, ob bei den Corona-Maßnahmen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet wurde, denn man hätte bei den harten Lockdown-Beschlüssen auch die gesundheitlichen Auswirkungen auf Depressive, auf Kranke und Alte, die Auswirkungen auf Kinder, die Wirtschaft und die Finanzen im Blick haben müssen. Der Staat hat nicht nur den einen Auftrag, die Menschen vor der Pandemie zu schützen. Wir wissen über die Folgen der staatlichen Corona-Maßnahmen fast nichts. Wie viele Suizide hat es wohl gegeben, wenn bei depressiv verstimmten Menschen durch die Kontaktbeschränkungen die Vereinsamung zunimmt? Wie viele Kinder sind psychisch krank oder verhaltensauffällig geworden, weil sie ihre Freunde in der Schule nicht mehr sehen dürfen? Was ist der Schaden für unsere Volkswirtschaft? Dazu hat es im Zusammenhang mit den Lockdown-Beschlüssen weder eine Kommission noch entsprechende öffentliche Diskussionen gegeben. Deshalb werden sich die schwerwiegenden Folgen der Maßnahmen auch erst noch zeigen.

Noch eine abschließende Frage: Wie sieht das Deutschland aus, in dem unsere Kinder in gut 15 bis 20 Jahren leben werden?
Hans-Georg Maaßen: Ich denke in dieser Hinsicht in verschiedenen Szenarien. Wenn alles so weiterläuft, wie es bisher war, dann habe ich die Sorge, dass unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft nicht mehr so stabil sind wie heute. Ich befürchte, dass grün-linke Politik (oder zutreffender Ideologie) unser Leben noch stärker reguliert, unsere Kinder manipuliert und unsere Wirtschaft gängelt. Ich denke, dass dies zu einer weiteren Spaltung unserer Gesellschaft führt, da viele Bürger mit einer solchen Politik gegen ihre eigenen Interessen unzufrieden sein werden. Dies betrifft besonders Menschen im ländlichen Raum, wie hier in Südthüringen. Die ökosozialistischen Pläne haben weniger Auswirkungen auf die Menschen in den großen Städten, die die U-Bahnstation vor der Türe haben und die zur Miete wohnen, sondern die vielen Menschen, die in ihrem eigenen Haus auf dem Land leben und ohne Auto weder zur Arbeit noch zum Einkaufen fahren können. Wir brauchen eine Umsteuerung in der Politik, einen anderen Kurs, der nicht irgendwelche utopischen Klimaziele versucht zu erreichen, sondern sich auf das Machbare und auf das Leben der heute lebenden Menschen konzentriert. Es muss begriffen werden, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, das Weltklima zu retten, sondern ein friedliches Miteinander der Bürger zu gewährleisten. Und wenn uns das gelingt, dann hat der Staat seine Hausaufgaben gemacht. Das Interview führte Chefredakteur Martin Backert. Text: Daniela Pondelicek

www.hgmaassen.de


Zur Person: Hans-Georg Maaßen

  • am 24. November 1962 in Mönchengladbach geboren, verheiratet
  • promovierter Jurist / Beamter im einstweiligen Ruhestand
  • in 1982 Abitur abgeschlossen, es folgt Studium der Rechtswissenschaften in Köln und Bonn
  • ab 1978 Eintritt in die CDU und ist Mitglied der Werteunion
  • ab 1991 Anstellungen im Bundes-innenministerium
  • von 8/2012 bis 11/ 2018 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz
  • lebt derzeit in Berlin und ist Rechtsanwalt