
Interview mit dem Bundestagsabgeordneten Gerald Ullrich (FDP)
Herr Ullrich, die FDP hat ihr Wahlprogramm mit dem Slogan „Nie gab es mehr zu tun“ betitelt. Mit welchem Hintergrund und warum geschah dies so?
Gerald Ullrich: 16 Jahre Kanzlerschaft Merkel haben das Land zum Stillstand gebracht. Wir haben keinen wirtschaftlichen, keinen gesellschaftlichen Fortschritt mehr. Die wahren Probleme unseres Landes werden nicht mehr angepackt, sondern nur noch verwaltet.
Die zwei großen Kernthemen der FDP sind die wirtschaftliche und die persönliche Freiheit, sowie die Bildung unserer Kinder. Warum?
Gerald Ullrich: Diese Themen bestimmen die Zukunft unseres Landes. Wenn wir heute nicht in Bildung investieren, werden wir das in der nächsten Generation mit großem Schrecken wahrnehmen. Bildung muss auf breitere Füße gestellt werden. Es darf nicht mehr sein, dass die Bildungsabschlüsse der Kinder mit dem Geldbeutel der Eltern irgendwas zu tun haben. Es muss schon in der Schule den jungen Menschen ein Aufstiegsversprechen gegeben werden. In puncto Wirtschaft denken wir, dass wir nur mit Wachstum die Probleme der Pandemie selbst lösen können. Die Schulden dürfen wir nicht komplett der nächsten Generation aufbürden. Dafür müssen wir schon selbst was tun. Deswegen sind auch Steuererhöhungen absolut falsch. Wir brauchen eher Steuererleichterungen, im privaten wie im gewerblich-wirtschaftlichen Bereich, um die Wirtschaft schnell wieder auf Touren zu bringen.
Ist die FDP personell bereit, in Berlin wieder an einer Regierungspolitik aktiv mitzuwirken?
Gerald Ullrich: Ja!
Wird es eine Koalition von Ihnen, der FDP mit Union und SPD, oder der Union und den Grünen geben? Oder schließen Sie schon im Vorhinein welche aus, weil die Interessen der Partei zu den anderen zu verschieden sind?
Gerald Ullrich: Es gibt vier Grundvoraussetzungen ohne die es eine Koalition mit uns nicht geben wird: Die freiheitlich demokratische Grundordnung, die soziale Marktwirtschaft als Wirtschaftssystem, die feste Einbindung in Europa und die feste Einbindung in der NATO. Wer das mit uns teilt, mit dem können wir auch koalieren.
16 Jahre Politik von Angela Merkel liegen hinter uns. Wie ist Ihre Einschätzung dazu? Hat die Berliner Politik in den Jahren verlernt, die Sorgen des „kleinen Mannes“ ernst zu nehmen?
Gerald Ullrich: 16 Jahre sind einfach zu lang. Sicherlich hat Frau Merkel auch ihre großen Verdienste, aber seit 2015 setzt sie falsche Prämissen. Eine gesellschaftliche Weiterentwicklung hat es seitdem nicht mehr gegeben und die Wirtschaft stagniert zwar auf einem hohen Niveau, aber die Zukunftsaufgaben der Wirtschaft werden nicht angegangen.
Was für eine Wirtschaftspolitik braucht Deutschland in den nächsten Jahren, um wieder erfolgreicher zu werden?
Gerald Ullrich: Wir brauchen vor allem Digitalisierung, wir brauchen Entbürokratisierung und wir brauchen wieder Wertschätzung des Unternehmertums. Ohne das, werden wir keinen Aufschwung erleben. Wir brauchen ein Steuersystem, was im internationalen Wettbewerb auch bestehen kann.
Oder hat Deutschland bei der Digitalisierung den Anschluss zur Welt verschlafen?
Gerald Ullrich: Eindeutiges ja! Inzwischen sind die Länder, die von uns früher als Bananenrepublik bezeichnet wurden, in puncto Digitalisierung uns eine Generation voraus.
Was muss Ihrer Meinung nach in unserem Land geändert werden, dass sich unternehmerisches Handeln und die Selbstständigkeit wieder lohnen?
Gerald Ullrich: Es muss den Leuten, die das wirtschaftliche System tragen, auch mehr von dem was sie erwirtschaften, bleiben. Wir brauchen wieder Respekt für die Menschen, die ihre persönliche Kraft und ihren Einsatz geben, um die Wirtschaft voran zu bringen. Denen dürfen wir keine Steine in den Weg legen.
Wie geht die FDP mit dem Thema Klimawandel und der Energiewende um? Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung ja – ja auch zu einer reinen grünen Energieerzeugung, koste es jeden Preis?
Gerald Ullrich: Sicher steht der Ausstieg aus fossilen Energien bevor, wenn wir die Pariser Klimaziele und die selbstgesteckten Ziele erreichen wollen, aber bei der Frage nach den Kosten ist das Pferd von hinten aufgezäumt. Wir müssen unserer Wirtschaft die Möglichkeit geben, technologieoffen das zu machen, was am einfachsten dazu führt, um CO2 einzusparen. Wir setzen hier insbesondere auf den CO2-Zertifikatehandel, der ein nachgewiesenermaßen absolut wirksames Mittel ist, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Von Verbotspolitik halten wir nichts. Wir setzen auf Innovation.
Werden Sie und Ihre Partei eine grünere Politik mit staatlichen Subventionen im Wirtschafts- bzw. Privatbereich mittragen / unterstützen?
Gerald Ullrich: Nein!
Werden Sie sich für oder gegen eine höhere CO2-Versteuerung aussprechen?
Gerald Ullrich: Es geht nicht um die Höhe einer Steuer, es geht darum, die Emissionen von CO2 zu begrenzen. Das heißt nicht automatisch, dass von Vornherein festgesetzte Steuern greifen, weil die ihre Lenkungswirkung verfehlen. Wir setzen deshalb auf den CO2-Zertifikatehandel, der über den Preis der Zertifikate den Ausstoß von CO2 regelt und vermindert.
Als Vater von drei schulpflichtigen Kindern kommt es mir manchmal so vor, als wären unsere Kinder dem Staat nichts mehr wert: Marode Schulgebäude, veraltete Ausstattungen, große Klassenstärken und die Digitalisierung kommt nicht in Gang. Wie ist Ihre Einschätzung als Vater
zweier Söhne dazu und was muss sich hier schnell ändern?
Gerald Ullrich: Sicher hat ein föderales Schulsystem viele Vorteile. Da es allerdings auch dazu führt, dass es Gewinner und Verlierer gibt, machen wir in diesem System irgendetwas falsch. Zunächst brauchen wir vergleichbare Abschlüsse und wir müssen auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips dafür sorgen, dass die, die die gesteckten Ziele mit dem geringsten Aufwand erreichen, als Vorbild gelten. Einen Königsweg dabei gibt es sicherlich nicht. Vor allem muss die Bildung in allen Bereichen, sowohl in ihrer Struktur und in der Lehrerschaft besser ausgestattet werden. Bildung ist Zukunft.
Das Handwerk und der Mittelstand leiden extrem unter Mitarbeitermangel. Welche grundlegenden Veränderungen in unserer Gesellschaft müssen hier getroffen werden, um diesen Berufszweigen wieder ein besseres Image zu geben?
Gerald Ullrich: Wir müssen den Menschen wieder klarmachen, dass wir am Ende der Fahnenstange der Akademisierung angekommen sind. Wir brauchen nicht nur Menschen, die in Hochschulen lernen, sondern wir brauchen auch Menschen, die Hochschulen bauen können. Das Handwerk hat durch den demografischen Wandel eine ungeahnte Zukunft. Wir müssen es nur verstehen, den jungen Menschen dies zu vermitteln und es ihnen zu erleichtern. Wir brauchen Gleichstellung von Bildungsabschlüssen. Wir müssen am Schulnetzsystem bundesweit sehr viel verändern, vor allem bei den Berufsschulen, sodass es einfacher für die Jugendlichen wird, einen Einstieg ins Berufsleben auch in Handwerk und Industrie zu haben.
Deutschlands Stellung in der europäischen Union sollte bleiben, oder muss es Veränderungen geben?
Gerald Ullrich: Deutschland sollte seiner Verantwortung in Europa absolut gerecht werden. Wir müssen damit aufhören, Probleme, die wir in Deutschland nicht lösen können, erst auf die EU zu schieben, sie dort von der Gemeinschaft lösen zu lassen und dann im eigenen Land darauf zu schimpfen. Deutschland muss weiterhin für eine starke Integration in Europa kämpfen. Wir brauchen die Vollendung des Binnenmarktes, wir brauchen eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und müssen uns im Bereich der Agrar- und Strukturpolitik den sich wandelnden Gegebenheiten anpassen.
Zahlt Deutschland die Zeche für andere?
Gerald Ullrich: Nein, Deutschland ist ein großer Profiteur der europäischen Union.
Was passiert, wenn es wie in Thüringen auch im Bund zu einer rot-rot-grünen Bundespolitik kommt? Bringt dieses Nachteile für Deutschland?
Gerald Ullrich: Ich glaube, dass es im Bereich von Industrie und Finanzwirtschaft einen großen Vertrauensverlust gäbe, von dem ich nicht sagen kann, wie weit der führen würde. Ich kann nur sagen, wäre ich Investor, würde ich in ein von den Grünen geführtes Deutschland eher nicht investieren.
Was für Auswirkungen hätte das auf die Wirtschaft und die Weltpolitik für unser Land?
Gerald Ullrich: Ich glaube, dass sich Deutschland nicht mehr den primären Zielen zuwenden würde, sondern wir würden uns in zu viel Klein-Klein verlieren. Durch meine DDR-Herkunft weiß ich genau, dass wir uns Dinge wie Umweltschutz einfach leisten können und müssen. Dies geht nicht mit einer geschwächten Industrie, dies geht nur mit einem wirtschaftlich starken Deutschland. Ich glaube nicht, dass die deutschen Grünen den Fokus darauf haben werden.
Sehen Sie die AfD gerade in den neuen Bundesländern bei Quoten von über 20% schon als eine Volkspartei an?
Gerald Ullrich: Ich bin mir nicht sicher, ob es in Zukunft den Begriff der Volkspartei überhaupt noch geben wird. Sowohl bei den zurzeit etablierten sogenannten Volksparteien wie auch bei der AfD. Parteien sind immer Ausdruck eines gesellschaftlichen Problems. Es ist so, dass wir Probleme mit der Umwelt haben, deswegen gibt es eine grüne Partei und es gibt Probleme mit der Migration, deswegen gibt es auch die AfD. Die für mich eindeutig mit nein zu beantwortende Frage ist, ob diese Parteien ihre jeweiligen Probleme auch lösen können. Weil hierzu ist ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz nötig und keine Ideologie getriebene, populistische Politik.
Wie steht die FDP zum Thema Grundeinkommen bzw. einer Mindestrente?
Gerald Ullrich: Eine Mindestrente gibt es jetzt auch schon, allerdings ist die Rente der Ausdruck der Leistung im Arbeitsleben. Von daher sollte die Rente auch dieser entsprechen. Ein Grundeinkommen lehnen wir ab.
Wie müsste nach der FDP ein sozial geführter Staat, unter den Aspekten der freien Marktwirtschaft, aussehen?
Gerald Ullrich: Ganz klar muss sich Leistung lohnen. Wenn wir dieses Prinzip konsequent durchsetzen, werden wir auch die gesellschaftlichen und sozialen Probleme lösen. Wir müssen ganz sicher denen helfen, die sich nicht selbst helfen können. Außerhalb dessen ist es klar, dass es jedem Einzelnen obliegt, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden.
Meinungsfreiheit sollte ja das wichtigste Gut einer Demokratie sein. Kann jeder in unserem Land seine Meinung noch frei äußern?
Gerald Ullrich: Ja das glaube ich ganz sicher, aber jeder der seine Meinung äußert, muss auch damit rechnen, dass er kritisiert wird. Ich glaube, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowohl bei der Meinungsäußerung, wie auch bei der Kritik an dieser Meinung, nicht mehr in jedem Fall gewahrt ist. Daran müssen wir arbeiten.
Welche Religionen gehören zu Deutschland? Wie ist Ihre persönliche Meinung dazu und wie die der FDP?
Gerald Ullrich: Der Staat ist nicht getauft.
Die deutsche Asylpolitik sollte künftig kontrolliert und begrenzt werden und sollte eine freie Zuwanderung jederzeit möglich sein? Was aus Ihrer Sicht ist der richtige Weg für unser Land?
Gerald Ullrich: Wir haben schon 2015 das Vier-Türen-Modell entwickelt, in dem sowohl Schutz gewährt wird bei Flucht, Asyl, wie auch die Möglichkeit zur Teilnahme an unserer Gesellschaft bei Einwanderung. Allerdings ist die vierte Tür auch die Rückführung und bei nicht Erfüllen der Bedingungen oder Voraussetzungen konsequent umzusetzen.
Wie sieht unser Land in gut 15 bis 20 Jahren aus? Wie werden wir geradehier auf dem Land leben?
Gerald Ullrich: Das aller wichtigste ist ganz sicher, dass wir in Freiheit und Frieden leben können. Wenn wir dieses konsequent durchsetzen, mit einer richtigen Wirtschafts- und Sozialpolitik, werden wir und unsere Kinder, auch auf dem Land, ein sehr gutes Leben haben.
Das Interview führte Chefredakteur Martin Backert.
www.gerald-ullrich.de