
Über die Verbesserung der länderübergreifenden Zusammenarbeit in der Region sprachen Kommunalvertreter mit Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee.
Sonneberg, 20. Dezember 2017 – Über den Abbau administrativer Hemmnisse und die Förderung der thüringisch-bayerischen Zusammenarbeit zwischen Landkreisen und Städten der Region Sonneberg, Coburg, Kronach und Lichtenfels sprachen Kommunalvertreter am 20. Dezember mit Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Mit dem Gespräch im Landratsamt Sonneberg erfüllte das Thüringer Kabinettsmitglied eine im Oktober dieses Jahres gegebene Zusage, als er in Sonneberg Fördermittel zur Weiterentwicklung des Deutschen Spielzeugmuseums übergab.
Als Gastgeberin oblag es der Sonneberger Landrätin Christine Zitzmann, zunächst die Verbundenheit sowie die vielfältigen kommunalen Kooperationen der „grenzenlos fränkischen Region“ vorzustellen – vom Klinikverbund Regiomed über den Tourismusverein Coburg.Rennsteig, den ÖPNV und den Zweckverband Grünes Band bis hin zur Städtepartnerschaft zwischen Sonneberg und Neustadt bei Coburg und der engen Verflechtung in Wirtschaft, Bildung und Ehrenamt.
Tiefensee: „Harzregion als Beispiel“
Dass es zwischen südlichem Rennsteig und dem Obermaintal „menschelt“, daran hegte auch Wolfgang Tiefensee keinen Zweifel. Ihm sei durchaus bewusst, dass es sich um eine gemeinsame Wirtschafts-, Bildungs- und Lebens-region handele. Umso wichtiger sei es, Barrieren aufgrund der teilenden Landesgrenze abzubauen. Hierbei wolle er den kommu- nalen Partnern im Rahmen seiner Möglichkeiten helfen und von der Basis gewachsene Prozesse auf Seite des Freistaates Thüringen unterstützen. Vor Augen habe er hierbei vor allem gute Erfahrungen aus anderen Landesteilen, so zum Beispiel bei der Harzregion, die sich gar auf drei Bundesländer erstreckt. Gleichwohl betonte der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister und Bundesminister, dass regionale Vorstöße sich stets im Rahmen landesseitiger Planungen und Strategien bewegen sollten. In jedem Fall bedürfe es einer abgestimmten und verzahnten Vorgehensweise. Ausdrücklich begrüßte der Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und digitale Gesellschaft den Beitritt von Landkreis und Stadt Sonneberg zur Europäischen Metropolregion Nürnberg.
Sonneberg und Neustadt bei Coburg gehen voran
Damit war der Auftakt gemacht, um die Gesprächsführung zu konkreten Wünschen der Kommunalvertreter zu lenken. Diesen Ball nahmen sogleich Frank Rebhan (SPD) als Oberbürgermeister der Stadt Neustadt bei Coburg und Wilhelm-Rainer Häusler (CDU) als Vertreter des verhinderten Sonneberger Stadtoberhaupts Dr. Heiko Voigt auf. Sie verwiesen zunächst auf die spezielle Gewichtung der Partnerschaft zwischen Sonneberg und Neustadt bei Coburg für die Region. Beide Städte würden unmittelbar durch die Landesgrenze getrennt, was wiederum die forcierte gemeinsame Entwicklung vor besondere Herausforderungen stelle. „In unseren Städten sind wir sehr weit, was gemeinsame Planungen angeht. Im Herbst hat es einen gemeinsamen Workshop unserer Stadträte gegeben, um Bestehendes im gemeinsamen Interesse gezielt auszubauen. Unsere Ideen zum Ausbau der Kooperation reichen bis hin zur Ausweisung länderübergreifender interkommunaler Gewerbegebiete. Und bekanntlich richten wir gemeinsam im Jahr 2019 den Tag der Franken aus, der damit erstmals länderübergreifend stattfindet“, führte Frank Rebhan aus.
Regionalmanager ist gefragt
Um den gemeinsamen Weg weiter zu stützen, schwebt dem Städteduo die Etablierung eines Regionalmanagements vor. Hierbei erbete man sich zwingend finanzielle Hilfe von Seiten beider Freistaaten und könne auf positive Signale aus München sowie erste wohlwollende Reaktionen von Seiten der Thüringer Staatskanzlei verweisen. Frank Rebhan und Wilhelm-Rainer Häusler nutzten die Gelegenheit, um dem Minister ein entsprechendes Schreiben beider Städte auszuhändigen, welches den Wunsch zur Schaffung eines Regionalmanagements konkretisiert. Wolfgang Tiefensee nahm den Ball gerne auf und sicherte sein Wohlwollen zu. Thüringer Aufbaubank, Landesentwicklungsgesellschaft oder auch diverse Förderprogramme böten durchaus Möglichkeiten, um die Weiterentwicklung eines länderübergreifenden Kooperationsraums zum Wohle aller durch die Einstellung eines „Kümmerers“ auf eine neue Qualität zu hieven. Denkbar wäre zudem eine anteilige Finanzierung des Regionalmanagers durch Thüringen, Bayern und die beteiligten Kommunen. Für die Umsetzung forderte er beide Städtevertreter auf, seinem Haus einen konkreten Förderantrag inklusive der Benennung von Zeitrahmen, Kosten, Zielen und Handlungsfeldern zuzustellen.
In diesem Zusammenhang verwies Frank Rebhan auch auf die großen Unterschiede bei Gesetzen, Richtlinien, Zuständigkeit und Förderrahmen. Diese Unterschiede erschwerten die gemeinsame Entwicklung der Städteachse als wesentlichem Impulsgeber für die Region. Neue Ideen seien daher gefragt, um Ungleichheiten abzufedern – von Ausnahmeregelungen für länderübergreifende Vorhaben bis hin zu „Sonderwirtschaftszonen“. Minister Tiefensee zeigte hier vollstes Verständnis und sicherte seine Hilfe zu, wenn Nicht-Kompatibles anzupassen sei. Der Werkzeugkasten der Landesregierungen ließe hier durchaus Entgegenkommen zu, etwa durch Staatsverträge.
Tourismus ist Handlungsfeld
Der Coburger Landrat Michael Busch (SPD) sprach gegenüber dem Erfurter Gast die aktuelle Frage an, inwiefern das Land Thüringen bei der Sanierung der Klinik Masserberg helfen könne. Bekanntlich möchte der länder-übergreifende Klinikverbund Regiomed hier unter bestimmten Voraussetzungen Verantwortung übernehmen, zumal Masserberg nicht nur im Gesundheitswesen, sondern eben auch im Tourismus ein Aushängeschild und ein wichtiger Pfeiler für den Tourismusverein Coburg-Rennsteig sei. Minister Wolfgang Tiefensee stimmte dem Vorsitzenden des Tourismusvereins in diesem Punkt zu und gab durchaus eine Perspektive für eine Förderung aus seinem Ressort zu erkennen. Jedoch stehe man am Anfang eines Verfahrens und müsse zunächst die Planungs-unterlagen gründlich prüfen. Dies sei Basis für konkrete Entscheidungen, wobei die große Rolle Masserbergs allen Akteuren bewusst sei.
Der Tourismus war auch dem Kreisbeigeordneten aus Kronach, Gerhard Wunder (CSU) ein Anliegen im Gespräch mit dem Wirtschaftsminister aus dem Nachbar-Freistaat. So wünsche er sich eine engere Zusammenarbeit mit dem Frankenwaldtourismus, in dem sich bekanntlich der Landkreis Kronach engagiert. Auch erinnerte er daran, dass die bayerischen und thüringischen Planungsregionen sich enger miteinander abstimmen mögen.
Helmut Fischer (CSU) als Beigeordneter des verhinderten Lichtenfelser Landrats setzte einen weiteren Schwer-punkt in der konstruktiven Debatte mit Wolfgang Tiefensee. So benannte er den fortschreitenden Fachkräfte-mangel als enorme Herausforderung, welche die Kommunen in der Region nur gemeinsam stemmen könnten. Gerade im Landkreis Lichtenfels, wo derzeit eine große Neuansiedlung Fachkräfte aus bestehenden Unternehmen abwerbe, sei die Lage durchaus prekär. Hier müsse man gemeinsam ansetzen, um junge Leute in der „grenzenlos fränkischen Region“ zu halten und Fachkräfte von außer- halb für selbige zu gewinnen.
Kaum Landesbehörden
Einen weiteren Gedanken sprachen Landrätin Christine Zitzmann und Wilhelm-Rainer Häusler als Vertreter aus dem Landkreis Sonneberg an. So sei der Region ein außergewöhnliches Wirtschaftswachstum gelungen, ohne dass hierbei größere Landesbehörden zur Prosperität beigetragen hätten. „Neuhaus am Rennweg hat das Staatliche Schulamt verloren. Das für den Verlust des Kreissitzes einst versprochene Amt für offene Vermögensfragen ist nie gekommen. Außer einer kleinen Polizeiinspektion, zwei Forstämtern, einem ebenfalls kleinen Finanzamt und dem Amtsgericht gibt es bei uns keine nennenswerten Landeseinrichtungen oder höheren Bildungsstätten. Genau die täten uns aber sehr gut, vor allem was den Bedarf an Ingenieuren angeht“, bekannte die Sonneberger Landrätin unumwunden. Insofern fragte Wilhelm-Rainer Häusler gegenüber dem Minister offen, ob nicht die Ansiedlung einer Behörde oder eines Landesinstituts möglich sei, um der wirtschaftlich starken Region weiteres Gewicht zu geben. Auf diese Wünsche angesprochen, konnte Minister Tiefensee kaum Hoffnung machen. Allenthalben sei es möglich, dass sich die Berufsakademie Gera dazu bewegen ließe, in der Spielzeugstadt eine Außenstelle anzudenken.
Ausnahme beim Nationalen Naturmonument angeraten
Gegen Ende des gut 70-minütigen Termins wurde noch ein weiteres, aktuelles Thema angesprochen. Bekanntlich möchte das von Bündnis 90/Die Grünen geführte Thüringer Umweltministerium das Grüne Band in Thüringen zum Nationalen Naturmonument auf- stufen.
Da die Landkreise Coburg, Kronach, Hildburghausen und Sonneberg bereits über einen Zweckverband gemeinsam ein Naturschutzgroßprojekt umsetzen, wiesen die Gesprächsteilnehmer den Minister unisono auf die bestehenden Unwägbarkeiten hin. Das gemeinsam auf hohem Niveau Geschaffene dürfe nicht durch schadende Parallel-strukturen konterkariert werden, zumal wichtige Akteure vor Ort aus Land- und Forstwirtschafft die Erfurter Pläne ablehnen – so lautete die Botschaft an Minister Tiefensee. Damit selbiger bei seiner zuständigen Kabinettskollegin Anja Siegesmund ein Umdenken anregen kann, übergab ihm Landrätin Christine Zitzmann kurzerhand die ablehnende Stellungnahme aus ihrem Haus. Oberbürgermeister Frank Rebhan unterstrich zudem die negativen Auswirkungen auf die Entwicklungsmöglichkeiten der vom Grünen Band getrennten Städte Sonneberg und Neustadt bei Coburg. Landrat Michael Busch plädierte daher dafür, die Teile des Grünen Bands beim Nationalen Naturmonument auszuklammern, die bereits durch ein Naturschutzgroßprojekt nachhaltig geschützt und gepflegt werden. Dies wäre ein Kompromiss, der allen Beteiligten zuträglich wäre.
Im Ergebnis dieses Auftaktgesprächs steht grundsätzlich die Aussage von Wolfgang Tiefensee, sich für die länder-übergreifende Region gerne stark machen zu wollen. Dies wurde von allen anwesenden kommunalen Vertretern ausdrücklich begrüßt. Nicht angesprochen wurde die ebenfalls schwer wiegende Gastschulproblematik. Dies wolle man aufgrund der Zuständigkeit gegebenenfalls mit Thüringens Bildungsminister besprechen.
Zum Hintergrund:
De facto stellt die „grenzenlos fränkische Region“ zwischen südlichem Rennsteig und Obermain eine gemeinsame Wirtschafts-, Bildungs- und Lebensregion dar. Verbindende Elemente sind in erster Linie der gemeinsame itzgründisch-fränkische Dialekt sowie die Gemeinsamkeiten hinsichtlich Brauchtum und Tradition. Im Alltag der Menschen spielt hier die Landesgrenze zwischen Thüringen und Bayern aufgrund zahlreicher und enger berufli-cher, gesellschaftlicher sowie privater Beziehungen eine untergeordnete Rolle.
Bis zur Teilung der Pflege Coburg im Jahr 1735 waren das Coburger und das Sonneberger Land gemeinsamer Teil im wettinischen Herrschaftsbereich. Durch den Beitritt des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha zum Freistaat Bayern im Jahr 1920 und die von 1945 bis 1989 bestehende innerdeutsche Grenze wurde die gemein- same Region jäh geteilt.
Die von Sonneberg nur gut 15 Kilometer entfernte Stadt Coburg stellt für die länderübergreifende Region das natürliche Oberzentrum dar. Diese bedeutende Rolle für die Menschen hat die Vestestadt quasi seit Jahrhunderten inne. Zudem ist Coburg auch der nächstgelegene Hochschul- und Theaterstandort für die Menschen des Landkreises Sonneberg.
Aufgrund der jahrhundertelangen engen Verbundenheit ist in der „grenzenlos fränkischen Region“ nach der deutschen Wiedervereinigung relativ zügig wieder zusammengewachsen, was zusammengehört. Insbesondere der zusammengehörende Wirtschaftsraum erlangt merklich die Bedeutung, Bindung und Größe zurück, die ihn bereits vor 1945 auszeichneten. Ablesbar wird dies unter anderem am sich immer stärker ausgleichenden Pendlersaldo zwischen Thüringen und Bayern. Zudem hat die Staatliche Berufsbildende Schule Sonneberg zahlreiche Schülerinnen und Schüler aus Bayern (vor allem das Berufliche Gymnasium).
In Verwaltung, Wirtschaft, Bildung, Infrastruktur, Gesellschaft und Ehrenamt existieren vielfältige Kooperatio- nen. Hervorzuheben sind:
- Regiomed (erster länderübergreifender kommunaler Klinikverbund Deutschlands)
- Tourismusverein Coburg.Rennsteig e.V.
- Zweckverband „Grünes Band Rodachtal – Lange Berge – Steinachtal“
- Deutsche Spielzeugstraße e.V.
- ÖPNV (Bayernticket gilt ab Sonneberg, Franken-Thüringen-Expresse fährt ab Sonneberg, OVG Sonne- berg bedient Stadtverkehr in Neustadt bei Coburg etc.)
- Städtepartnerschaft Sonneberg und Neustadt bei Coburg
- WIR-Verein (länderübergreifender Wirtschaftsverein, der u.a. jährlich in Sonneberg die Fachkräfte- und Ausbildungsmesse FAMOS veranstaltet)
- Regionale Museumsnacht (jährliche gemeinsame Veranstaltung von regionalen Museen)
- Handwerk und Kultur e.V. (Eigenvermarktung von regionalen Handwerksunternehmen, Versorgern und Kultureinrichtungen)
- Tag des offenen Denkmals (jährliche gemeinsame Veranstaltung der Unteren Denkmalschutzbehörden)
- Europäische Metropolregion Nürnberg als gemeinsame übergeordnete Struktureinheit mit vielfältigen Gestaltungsräumen
Gleichwohl stellt die Landesgrenze eine widernatürliche administrative Barriere dar, welche die Region trennt und in ihrer gemeinsamen Entwicklung hemmt. Aufgrund der Landesgrenze ergeben sich unter anderem unter- schiedliche Kulissen für Gesetze, Förderungen, Planungsrahmen und Bildungsfragen. Dies wiederum macht eine gemeinsam geplante und umzusetzende Entwicklung kaum möglich.