amadeus im Gespräch mit Peter Wicklein, Künstlerischer Leiter der Sonneberger Jazztage

In diesem Jahr feiern die weit über die Grenzen der Südthüringischen Region hinaus bekannten „Internationalen Sonneberger Jazztage“ ihren 30. Geburtstag. Der künstlerische Leiter Peter Wicklein stand im amadeus Gespräch Rede und Antwort.

amadeus: Lieber Peter Wicklein, seit nunmehr 30 Jahren ist das Jazzfestival in den Novembertagen nicht mehr aus dem Veranstaltungskalender der Region Sonneberg wegzudenken. Die Erfolgsgeschichte der Sonneberger Jazztage ist eng mit Ihrer eigenen Biographie verbunden. Wie fällt Ihr Fazit bezüglich der Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte aus?
P.W.: Rückblickend ist es schon sehr beeindruckend, wie sich unsere Jazztage aus einer ursprünglich nur einmalig als Geburtstagsparty mit befreundeten Bands für die „Jazz Optimisten Sonneberg“ konzipierten Veranstaltung im Jahre 1986 zu dem heutigen Event mit großer stilistischer Bandbreite und internationaler Ausrichtung entwickelt haben. War der schwierige Start im starren DDR – Kulturbetrieb entgegen widriger Umstände nur mit Rückendeckung durch den Generaldirektor des Spielwarenkombinats Rudolf Stolze möglich, mussten wir Jazz-Enthusiasten nach der Wende nach neuen Lösungsmöglichkeiten für die Organisation und Finanzierung der Jazztage suchen. Durch die friedlich errungene Grenzöffnung im Jahre 1989 ergaben sich für uns trotz organisatorischer und finanzieller Turbulenzen faszinierende Perspektiven. Plötzlich konnten wir ohne politische Hindernisse und Devisenprobleme Musiker aus dem vormals „westlichen Ausland“ nach Sonneberg holen. Und wir fanden im oberfränkischen Raum Jazz begeisterte Macher, die bereit waren, mit uns zusammen unser Sonneberger Festival fortzuführen. Folgerichtig gründete sich im April 1992 der Verein „Sonneberger Jazzfreunde e. V.“, dem gegenwärtig über 100 Jazz-Fans aus Südthüringen und Oberfranken angehören. Ein Teil dieser Gründungsmitglieder bildet bis heute den aktiven Kern des Vereins, so unsere Vereinsvorsitzende Ingrid Faber oder einige Mitglieder des Beirats. Ein anderer Teil hat den engeren Kreis leider aus gesundheitlichen oder anderen Gründen wieder verlassen müssen – stellvertretend für alle Betroffenen denke ich hier mit Dankbarkeit an die willkommene rechtliche Beratung und Hilfe durch unseren Vereinsfreund Jochen Späth zurück. Desweiteren geht ein großer Dank auch an Dietrich Schulz. Der pensionierte Oberstleutnant der Luftwaffe, der lange Zeit in den USA stationiert war, konnte sozusagen „vor Ort“ seine Erfahrungen im Ursprungsland des Jazz sammeln. Schulz, der in Rödental lebt, war und ist uns eine konstruktive Hilfe auf vielen Gebieten unseres Vereins „Sonneberger Jazzfreunde“. Besonders auch auf vielen Gebieten der Organisation war und ist sein Wissen ein großer Zugewinn. Danke, Dietrich Schulz!

Das aus Vorstand und Beirat bestehende aktive Zentrum des Vereins ist in den vergangenen Jahren immer wieder durch neue Mitstreiter mit frischen Ideen ergänzt worden. Deshalb habe ich keine Sorgen bezüglich der kreativen Weiterentwicklung unserer Jazztage. Allerdings haben die Jahre seit 1992 auch gezeigt, dass wir nur mit der Hilfe von potenziellen Partnern eine Chance haben, ein solches Festival in unserer nicht gerade großstädtisch strukturierten Region durchführen zu können. Ich denke da besonders an die langjährige Schirmherrschaft über die Jazztage durch unsere ehemalige Bürgermeisterin Sibylle Abel, die für uns immer ein offenes Ohr hatte und deren Tod uns alle fassungslos und traurig gemacht hat. Unterstützung erhalten wir vom Land Thüringen und vom Landkreis Sonneberg. Hervorzuheben ist die starke finanzielle Hilfe unserer Sponsoren, ohne die wir kein Jazzfestival dieser Größenordnung auf die Beine stellen könnten. Mein besonderer Dank gilt deshalb allen Unternehmen, Institutionen und Einzelpersonen, die uns heute und in der Zukunft finanziell oder durch andere Leistungen unter die Arme greifen. Wichtig ist mir auch die organisatorische Integration der Sonneberger Jazztage in die Jazzmeile Thüringen, die in erster Linie dem kreativen Gedankenaustausch und dem gemeinsamen publicity dient.

amadeus: Wie beurteilen Sie die künstlerische Bilanz der letzten 29 Jahre?
P.W.: Das ist eigentlich der entscheidende Punkt: Meine Mitstreiter aus dem Verein und ich nehmen es mit allen organisatorischen und finanziellen Herausforderungen auf, um jedes Jahr ein hochkarätig besetztes und vielseitiges Programm anbieten zu können. Die Vorbereitungen dazu können sehr nervenaufreibend sein, aber das künstlerisch-musikalische Erlebnis entschädigt uns für alle Mühen. Die auftretenden Künstler aus aller Welt schätzen die von Herzen kommende Gastfreundlichkeit in Sonneberg. Die individuelle Betreuung der Musiker durch Vereinsmitglieder schafft eine sehr schöne und vertrauensvolle Atmosphäre rund um die Konzerte. Immer wieder äußern sich Stars wie beispielsweise Klaus Doldinger im Vorjahr äußerst lobend über den herzlichen Umgang und die perfekte Organisation, empfinden die empfangene „Nestwärme“ als sehr wohltuend. So werden aus künstlerischen Partnern Freunde – kann es ein schöneres Ziel geben? Um auf die Bilanz zurückzukommen, da muss ich zunächst ein wenig trockene Statistik bemühen: In 29 Jahren standen 256 Bands mit 2.465 Akteuren auf den Bühnen des Festivals. Insgesamt 336 Konzerte wurden organisiert. Das sind die nüchternen Zahlen, dahinter stehen aber faszinierende Konzerterlebnisse mit Stars wie Chris Barber, Kenny Ball, Eugen Cicero, Paul Kuhn, Götz Alsmann, Manfred Krug, Uschi Brüning oder den „New York Voices“. Mehrfach begeisterten Marc Secara und sein Berlin Jazz Orchestra unter der Leitung von Jiggs Whigham das Publikum. Mit dem „Pasadena Roof Orchestra“ und der NDR-Bigband konnten wir weitere großartige Klangkörper nach Sonneberg holen. Klaus Doldinger und seine Band „Passport“ waren im letzten Jahr ein phänomenales Highlight. Es ist aber nicht nur die seit 2015 auf den Samstagabend gerückte Reihe „Jazz In Concert“ mit den großen Stars, die den Fans große Freude machen. Da sind die international ausgerichteten Prolog-Konzerte, die seit zwei Jahren Ende September in der Musikschule die Saison mit konzertantem Modern-Jazz einläuten oder die tollen Partys mit jungen, innovativen Bands in der „Blues & Soul Garage“ Auto-Center Sonneberg. Mit Marcus Horn haben wir einen genialen Partner für die musikalische Förderung unserer Jüngsten im Rahmen des Workshops „Jazz For Kids“ gefunden. Sehr beliebt ist die Verbindung von literarischer Sprache und Jazz in der Reihe „Texte & Sounds“ mit dem Autor, Moderator und Literaturexperten Michael Hametner. Nicht vergessen möchte ich die großen Gospelkonzerte inklusive der Gospel-Workshops, die seit Beginn der neunziger Jahre u. a. in der Stadtkirche, im Gesellschaftshaus und in der Oberlinder Kirche stattfanden. Jazz ist grenzenlos, das zeigt die Einbeziehung von Neustadt mit stimmungsvollen Konzerten im Ketschenbacher „Lindenhof“. Mit speziellen Schulkonzerten versuchen wir bereits seit vielen Jahren, Jugendliche an den Jazz heranzuführen. Alles in allem kann ich eine sehr positive Bilanz der letzten 29 Jahre ziehen, auch wenn hier und da Probleme nicht ausgeblieben sind.

amadeus: Gibt es bei dieser beeindruckenden Bilanz überhaupt noch Luft nach oben?
P.W.: Das ist eigentlich nicht die Frage. Sicher kann man immer teurere Stars einkaufen, wenn man das finanziell verkraftet. Hier gibt es natürlich Grenzen für uns. Entscheidend aber ist, dass wir mit allen unseren musikalischen Antennen wach und sensibel die Entwicklungen im Jazz verfolgen und offen sind für neue Tendenzen. Unser Publikum wird uns nur treu bleiben, wenn wir weiterhin die Vielseitigkeit des Jazz mit unseren Konzerten repräsentieren. Bei aller Farbigkeit und Individualität im Jazz halte ich die Verbindung von Tradition und Moderne für existenziell, sehe ich die Pflege der Wurzeln des Jazz als unbedingt erforderlich an. Das ist vielleicht mein künstlerisches Credo und deshalb bieten wir zu jedem Festival vom traditionellen Jazz über Blues, Swing, Gospel, Soul bis hin zum konzertanten Jazz eine große Bandbreite an Musik an. Und da gibt es immer Raum für Neuerungen. Hier ist mir auch die Resonanz von meinen Mitstreitern aus dem Verein besonders wichtig.

amadeus:Können Sie einen Ausblick auf das Jubiläumsprogramm 2016 geben?
P.W.: In der Tat standen wir in diesem Jahr vor der Herausforderung, nach dem an Höhepunkten sicher nicht armen Festival von 2015 ein gutes Programm für die Jazztage aufzustellen. Das ist uns aus meiner auch Sicht gelungen. Das Jubiläumsjahr wartet am 18. September in der Musikschule mit einem besonderen jazzigen Leckerbissen auf: Der schwedische Starmusiker Lars Danielsson (Bass; Cello) und der in Martinique geborene Pianist Gregory Privat stellen ihr konzertantes Programm „Liberetto II“ vor. Stargäste der Jazztage sind am 5. November im Gesellschaftshaus der von Stefan Raab entdeckte Soul- und Jazzsänger Max Mutzke und der Trompeter Nils Wülker. Max Mutzke hat auch auf dem neuen Album von Klaus Doldinger mitgewirkt, Nils Wülker ist Gewinner mehrerer Jazz Awards. Beide werden zusammen mit der Thilo Wolf Big Band der erfolgreichen Reihe „Jazz In Concert“ einen besonderen Glanz verleihen. Der Radiomoderator Michael Hametner führt durch den Auftakt „Texte & Sounds Volume 8“, bei dem es dieses Mal um Liebe und Erotik geht. Mehr als den musikalischen Rahmen liefern die „Singin‘ Birds“ aus Polen mit ihrem sinnlichen Ausflug in die Musik der 1920er Jahre. Zur Party im Auto-Center Sonneberg in der „Blues & Soul Garage“ am 4. November bringt die elfköpfige Band „Hot Cargo“ eigenwillige Bearbeitungen von Rock-Klassikern der 1960er Jahre mit und peppt diese mit viel Latin und viel Jazz richtig groovy auf. Ebenfalls am 4. November werden die „Singin‘ Birds“ aus Polen das Blut der Besucher im Ketschenbacher „Lindenhof“ in Wallung bringen. Am „Saturday Morning“ dürfen sich die Freunde von humorvoller Jazzmusik auf das in dieser Hinsicht kaum zu schlagende „BLAMU Jatz Orchestrion“ im City-Center freuen. Bereits am 4. November läuft der Workshop „Jazz For Kids“ unter dem vielsagenden Titel „Groove-YEAH!“ mit dem Schlagzeuger Marcus Horn. Das Abschlusskonzert „The Gospel Experience“ wird wegen des großen Erfolgs im Vorjahr und der guten Zusammenarbeit wieder in der Oberlinder Kirche St. Aegidien stattfinden, Jubiläumsgäste sind „Donna Brown & The Golden Gospel Pearls“ aus den USA. Besonders freue ich mich auf das Schulkonzert mit der „Landesjugendbigband Thüringen“ am 7. November im Gesellschaftshaus – hier spielen junge Musikstudenten für Schüler der beiden Gymnasien des Landkreises Sonneberg. Immer wieder neue Wege gehen, um Jugendliche an die verschiedenen Stilrichtungen des Jazz heranzuführen und jungen Leuten die verdienten Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen, diese Aufgabe verstehen wir unter künstlerischer Nachwuchsarbeit.

Der Kartenvorverkauf beginnt am 1. August 2016. Näheres über das Programm der 30. Sonneberger Jazztage unter www.son-jazz.de